Das Verwaltungsgericht Köln entschied vor Kurzem über die Anrechnung von Immobilienvermögen bei der Ausbildungsförderung.
Eine der größten Streitpunkte bei der Beantragung einer Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ist die Anrechnung von Vermögen des Antragstellers. Im Besonderen gilt dies für Immobilienvermögen.
Der Fall
Die Klägerin ist Studentin an der Universität in Köln und Miterbin eines bebauten Grundstücks. Ende 2018 beantragte die Klägerin für ein Auslandsaufenthalt in Australien eine Ausbildungsförderung. Dieser Antrag von der Beklagten mit der Begründung abgelehnt, das anteilige Immobilienvermögen der Klägerin sei anzurechnen. Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klägerin von den Miterben die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft verlangen und so der Immobilienanteil verwertet werden kann. Überdies käme auch eine familieninterne Beleihung des Immobilienanteils in Betracht.
Nach erfolglosem Widerspruch wird Klage erhoben
Zur Begründung wird durch die Klägerin vorgebracht, dass eine familieninterne Beleihung wegen der finanziellen Situation der Familie nicht möglich wäre. Des Weiteren komme – aufgrund des geringen Immobilienwertes bzw. der Verbindlichkeiten - auch eine anderweitige Beleihung nicht in Betracht. Ein denkbarer Verkauf der Immobilie wäre nach Auffassung der Klägerin nicht zielführend, da aufgrund der Verbindlichkeiten und entstehenden Kosten kein Gewinn realisiert werden würde. Zudem sei die Klägerin selbst nachweislich nicht kreditwürdig.
Verwaltungsgericht Köln: Klägerin hat Anspruch auf beantragte Ausbildungsförderung
Die Ablehnung der Ausbildungsförderung durch die Beklagte ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Köln rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Anrechnungsfreiheit von Vermögen zur Vermeidung unbilliger Härten
Der Anrechnung des Immobilienanteils seht die Regelung des § 29 Abs. 3 BAföG entgegen. Demnach kann ein zusätzlicher Teil des Vermögens zur Vermeidung unbilliger Härten anrechnungsfrei bleiben, wenn der Einsatz oder die Verwertung des Vermögens zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Lebensgrundlage des Auszubildenden führen würde. Dies gilt im Besonderen, wenn hierdurch die berufliche Existenz- oder Lebensgrundlage der Familie zeitlich unmittelbar oder hinreichend sicher in Zukunft gefährdet oder die Erfüllung anderer, der Unterhaltpflicht vorrangiger Pflichten gefährdet oder sogar ausgeschlossen wäre. Eine besondere Härte ist anzunehmen, wenn die Verwertung des Grundstücks, wozu neben der Veräußerung auch die Belastung mit einem dinglichen Recht zählt, in dem maßgeblichen Förderungszeitraum gar nicht realisiert werden kann.
In diesem Kontext sind daher auch wirtschaftliche Hindernisse grundsätzlich dazu geeignet, eine unbillige Härte im Sinne des § 29 Abs. 3 BAföG zu begründen.
Verwertung des Immobilienanteils für Klägerin nicht zumutbar
Die Klägerin hat nach Überzeugung des Gerichts ein wirtschaftliches Verwertungshindernis glaubhaft gemacht. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, wonach bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise der Miteigentumsanteil in sinnvoller und zumutbarer Weise eingesetzt werden kann, um damit das Studium zu finanzieren.
Einzelfallprüfung der konkreten Einkommens- und Vermögensverhältnisse
Ob solche Verwertungshindernisse vorliegen, bedarf einer Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der konkreten Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Grundsätzlich besteht die Pflicht, zunächst eigenes Vermögen für eine Ausbildung einzusetzen, so dass ein strenger Maßstab anzusetzen ist.
Im Fall: Klägerin hat keine vertretbare Verwertungsmöglichkeit
Weder eine Teilung des Grundstückes noch die Aufnahme eines Darlehens in Verbindung mit einer Beleihung durch die Bank ist nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Fall möglich. Dies folgt auch plausibel aus dem Wert der Immobilie, der Höhe ihres Anteils und der noch verbleibenden Verbindlichkeiten.
Keine Zustimmung zur Verwertung durch übrige Miteigentümer
Die Klägerin hat zudem eine Erklärung ihrer Mutter und Schwester, beide Miteigentümer an dem Grundstück, eingereicht, wonach diese zur Verwertung des Grundstückes ihre Zustimmung nicht erteilen würde. Damit ist die Klägerin aber auch nicht in der Lage, das Grundstück insgesamt zum Zwecke der Finanzierung ihres Studiums einer Verwertung zuzuführen. Für sie verbleibt deshalb allein die Möglichkeit, ihren Miteigentumsanteil im Wege der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft und der damit verbundenen Zwangsversteigerung wirtschaftlich verwertbar zu machen.
Zwar stellt der Verlust eines Miteigentumsanteils an einem unbebauten Grundstück an sich keine unbillige Härte dar, wenn dieses nicht als künftige Lebensgrundlage für den Auszubildenden oder seine Familienangehörigen dient. Die staatliche Ausbildungsförderung unterliegt dem Grundsatz der Nachrangigkeit, so dass in diesen Fällen ein Absehen vom Einsatz des Vermögens als nicht gerechtfertigt erscheint.
Elternhaus dient als Lebensgrundlage der Familie
Allerdings befindet sich auf dem Grundstück das Elternhaus der Klägerin. Dieses wird von der Schwester der Klägerin, sowie ihrer Mutter bewohnt und dient daher der Lebensgrundlage der Familie.
Nach Auffassung des Gerichts kann sich bereits hieraus eine unbillige Härte ergeben. Als Ergebnis einer Zwangsversteigerung ist zu befürchten, dass das Grundstück für die Familie insgesamt verloren geht. Zudem ist der Wert des Miteigentumsanteils – verglichen mit dem Bedarf der Klägerin während der noch zu absolvierenden Ausbildung – nicht derart hoch, dass bereits aus diesem Grund der bei einer Zwangsversteigerung eintretende Wertverlust billiger Weise von der Klägerin hingenommen werden muss. Im Hinblick darauf ist nämlich zu bedenken, dass solche Zwangsversteigerungen auch stets mit erheblichem wirtschaftlichen Verlust einhergehen. Ist die Zustimmung zur Belastung eines Gesamtanteils an einem Grundstück nicht erreichbar und daher die Verwertung nur durch Zwangsversteigerung möglich, was in aller Regel zu einer Veräußerung erheblich unter Marktwert und zu Verlusten auch bei unbeteiligten Miteigentümern führt, ist eine unbillige Härte anzunehmen.
Versteigerung würde keinen relevanten Überschuss erzielen
Zudem ist nicht davon auszugehen, dass bei einem Grundstück mit einem Marktwert von 216.000 Euro und einer Darlehensforderung von 183.049,45 Euro bei einer Versteigerung - unter Berücksichtigung der dabei entstehenden Kosten, sowie eines Wertverlustes - ein relevanter Überschuss erzielt wird.
Ermessen der Behörde auf Null reduziert
Dem Wortlaut nach steht die Anrechnungsfreiheit bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen im Ermessen der Behörde. Ein ermessensfehlerfreies Versagen der Anrechnungsfreiheit trotz Vorliegens einer unbilligen Härte kommt – wenn überhaupt – nur noch bei besonderen Umständen in Betracht. Derartige besondere Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich, sodass eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt.
Quelle: Verwaltungsgericht Köln, Gerichtsbescheid v. 28.09.2021, Az. 3 K 5310/19