Vor 30 Jahren, am 22. April 1994, beschloss der Bundestag die Pflegeversicherung als fünfte Säule der Sozialversicherung. Heute, mahnen Kritiker, ist die Pflegeversicherung ein Sanierungsfall: Unterfinanziert, bürokratisch, dringend reformbedürftig
„Wir laufen sehenden Auges in eine Katastrophe“, warnte kürzlich der Präsident der Diakonie, Rüdiger Schuch anlässlich der stetig steigenden Zahl an Pflegebedürftigen und der Defizite bei der Finanzierung der Pflege. Auch Bayerns Gesundheits- und Pflegeministerin Judith Gerlach fordert deutlich mehr „Tempo“ bei der Reform. „Wenn die pflegerische Versorgung mit Blick auf die demografische Entwicklung auch künftig sichergestellt werden soll, muss die Bundesregierung jetzt handeln und die längst überfällige Struktur- und Finanzreform der Pflegeversicherung auf den Weg bringen. Die bisherigen Gesetzesänderungen griffen viel zu kurz und waren nicht ausreichend an die Herausforderungen der heutigen Zeit angepasst“, so Gerlach.
Die Forderung aus Bayern: Die Pflegeversicherung müsse vereinfacht und flexibilisiert werden. Ziel müsse sein, dass sich die Versorgung im Einzelfall besser nach den Bedarfen des Pflegebedürftigen richte – und nicht nach komplexen Abrechnungsmöglichkeiten. Zudem dürften die finanziellen Belastungen für die jüngere Generation in den nächsten Jahren nicht explodieren.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat eine Kommission eingesetzt, die bis Ende Mai Konzepte für eine langfristige Lösung für die Pflegeversicherung entwickeln soll. Experten bezweifeln allerdings, ob das angesichts der derzeitig politisch sehr unterschiedlichen Vorstellungen der Regierungsparteien zur künftigen Gestaltung des Sozialstaates gelingen wird.
Paritätisch finanziert
Die Pflegeversicherung war vor 30 Jahren eingeführt worden, weil sich damals schon zeigte, dass immer mehr alte Menschen in die Sozialhilfe rutschen, weil sie Pflege und Heimunterbringung nicht bezahlen konnten. Das bedeutete eine große Belastung auch für Kommunen, deren Sozialhilfeetats stark stiegen. Mit der SPD und gegen den Widerstand des damaligen Koalitionspartners FDP setzte der damalige Gesundheitsminister Norbert Blüm (CSU) durch, dass die Pflege-Versicherung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch finanziert wurde.
Heute ist klar, dass die Pflegeversicherung wichtiger ist denn je: Rund 74 Millionen Bundesbürger sind dort gesetzlich versichert. Mehr als 5,2 Millionen erhalten Leistungen. In den nächsten Jahren wird die Zahl der Pflegebedürftigen weiter steigen. Durch vermehrte Renteneintritte der so genannten Babyboomer entstehen zudem weitere große Lücken beim Fachpersonal. Kein Anlass also zum Feiern, sondern zum Handeln.
Quelle: STMGP, PM vom 21.04.23; Diakonie Deutschland; PM