Regelmäßig gibt es Streit zu der Frage, ob ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) ordnungsgemäß durchgeführt wurde oder nicht.
Eine einheitliche Regelung dafür, wie dieses konkret durchzuführen ist, gibt es nicht. Seitens der Rechtsprechung wurden Eckpunkte entwickelt, die jedenfalls zu beachten sind. Ein weiteres Urteil des LAG Hessen (Urt. v. 19.7.2021 - Az. 16 Sa 231/21) gibt weitere wichtige Anhaltspunkte.
Keine Kündigung, wenn angemessene mildere Mittel verfügbar
Nach der Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts ist eine Kündigung nicht „durch eine Krankheit nicht bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt.
Im Fall: Durchführung eines BEM strittig
Geklagte hatte ein Arbeitnehmer. Weil er krankheitsbedingt seinen Aufgaben nicht oder nicht im erforderlichen Maße nachkommen konnte, hatte die Beklagte Arbeitgeberin gekündigt.
Vor der Kündigung wurde ein Gespräch geführt, das die Arbeitgeberin als „betriebliches Eingliederungsmanagement“ (BEM) bezeichnete. Jedoch blieb der Inhalt strittig. Zudem wurde es vom Arbeitnehmer nicht als solches angesehen.
Nachdem das Arbeitsgericht Offenbach die Kündigung zurückwies (Urteil vom 29.1.2021, Az. 4 Ca 378/20) ging die Arbeitgeberin mit Berufung vor das Hessische LAG.
LAG: keine krankheitsbedingte Kündigung
Das LAG hielt die Kündigung für ebenfalls für rechtswidrig. Die ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, weil sie nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt sei, § 1 Abs. 2 KSchG.
Eine Kündigung ist dann durch eine Krankheit nicht „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Das könne die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs ebenso sein wie die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz. Zudem verpflichtet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit den Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, gegebenenfalls spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (so z.B. auch das BAG, Urteil vom 20.11.2014, Az. 2 AZR 755/13).
BEM nicht ordnungsgemäß durchgeführt
Die Arbeitgeberin war gemäß § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX verpflichtet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchzuführen, da der Kläger innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war.
Voraussetzungen wären
- dass der Arbeitgeber den betreffenden Arbeitnehmer auf die Ziele des BEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hinweist (BAG, s.o.).
- dass bestimmte vom Arbeitgeber tatsächlich ergriffene Maßnahmen den Anforderungen eines BEM genügen
- mit dem betreffenden Arbeitnehmer die Fragestellung eines möglichen Zusammenhangs zwischen seiner Tätigkeit und den Erkrankungen zu besprechen.
Ursachzusammenhang Krankheit – Arbeitsunfähigkeit klären
Nach Ansicht des LAG reicht es für die Klärung des Zusammenhangs nicht, dass die Arbeitgeberin den Kläger in dem umstrittenen Gespräch nach den Ursachen seiner Arbeitsunfähigkeitszeiten gefragt hat (insbesondere, ob diese im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit stehen), und der Kläger erklärt hat, die Arbeit sei halt schwer, aber er könne sie ausüben und die Beklagte könne insoweit keine Hilfestellung geben. Als medizinischer Laie konnte der Kläger selbst nicht beurteilen, ob ein Zusammenhang zwischen seinen Arbeitsunfähigkeitszeiten und seiner Tätigkeit besteht.
Weitere Maßnahmen wären erforderlich gewesen
Die Beklagte hätte daher weitere Schritte ergreifen müssen, um zu klären, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um die Fehlzeiten des Klägers zu mindern. Dafür hätte sie zumindest einen Arbeitsmediziner hinzuziehen können, der den Kläger untersucht und die gesundheitlichen Anforderungen seines Arbeitsplatzes mit seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen abgleicht, Feststellungen über mögliche (technische) Hilfestellungen (z.B. Hebehilfen) oder eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes trifft.
Die alleinige Aufforderung an den Kläger, ein aktuelles fachärztliches Attest vorzulegen, sei nicht genug.
Rehabilitation nicht auszuschließen
Im Übrigen sei nicht auszuschließen, dass bei ordnungsgemäßer Durchführung eines BEM Rehabilitationsbedarfe in der Person des Klägers hätten erkannt und durch entsprechende Maßnahmen künftige Fehlzeiten spürbar hätten reduziert werden können.
Quelle: LAG Hessen, Urt. v. 19.7.2021 - Az. 16 Sa 231/21)