Wie kann das System Kindertagesbetreuung seine Kompetenzen weiterentwickeln? Dieser Frage geht Autorin Hilke Lipowski im Beitrag auf den Grund, ursprünglich erschienen auf BOLD – Blog on Learning and Development.
„Was macht Ihr da mit unseren Kindern?“ Ein kritischer Beitrag von Kai Biermann u.a. aus der ZEIT-online Diskussion zur pädagogischen Qualität in Kitas. Die Autor*innen weisen auf Missstände in der Kindertagesbetreuung hin und kritisieren die Passivität von Bund und Ländern. Die Diskussion über die Qualität in Kitas und Kindertagespflege ist nach dem quantitativen Ausbau der Betreuungsplätze ein notwendiger Schritt. Das Wohl des Kindes steht an oberster Stelle und Missstände müssen aufgedeckt und behoben werden.
Die Verantwortung für die Qualität in Kitas ruht auf vielen Schultern
Allzu leicht wird in dieser Diskussion nur das Handeln der pädagogischen Fachkräfte in den Vordergrund gestellt. Die Verantwortung für die Qualität in der Kindertagesbetreuung liegt jedoch nicht allein bei den Mitarbeiter*innen in den Kitas sondern − wie auch Biermann und Kollegen in ihrem Beitrag hervorheben - bei allen Akteuren im System der Kindertagesbetreuung: also auch bei Trägern, Fachberatungen, Kommunen, Wissenschaft und (Fach)politik. All diese Akteure haben nicht nur die Aufgabe zu handeln, wenn es in den Kitas „brennt“ - sie müssen schon vorher aktiv daran mitwirken, die Rahmenbedingungen und Unterstützungsstrukturen in den Kitas zu verbessern, damit die pädagogischen Fachkräfte ihre Kompetenzen weiterentwickeln und anwenden können (vgl. weiterführend Friederich u.a., 2016)
Ein „kompetentes“ System Kindertagesbetreuung ist gefordert
Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem zweiten Lebensjahr, gesellschaftliche Umbrüche, bedeutende Veränderungen in den Familien und in der Arbeitswelt, all diese dynamischen Entwicklungen betreffen direkt oder indirekt auch die Kompetenz des Systems Kindertagesbetreuung. Kitas und Kindertagespflege haben mit kind- und familienorientierten Betreuungsangeboten reagiert. In den Teams hat sich viel bewegt, eingefahrene Strukturen wurden aufgebrochen und die pädagogischen Fachkräfte leisten vielerorts gute Arbeit. Längst wissen wir auch aus Studien, dass die Teams ihren Auftrag der Bildung, Erziehung und Betreuung unter teilweise schwierigen Rahmenbedingungen umsetzen. Aber wo bleiben die Konsequenzen, die aus diesen Ergebnissen gezogen werden? Es fehlen vielfach die Unterstützungsstrukturen, die notwendig wären, um für eine flächendeckende, hohe Betreuungsqualität zu sorgen. Hier wäre durchaus die Frage angebracht:
„Was macht Ihr da mit unseren pädagogischen Fachkräften?“
Ein wichtiger Faktor für die Qualitätssicherung und -entwicklung in den Kitas sind ausreichende zeitliche Ressourcen. Personalschlüssel müssen so berechnet werden, dass Fehlzeiten aufgefangen werden können und Zeiten für die Reflexion der pädagogischen Arbeit und den Austausch im Team gegeben ist. Auch eine intensive Einarbeitung und Begleitung neuer Teammitglieder ist aufgrund der veränderten Ausbildungsformen und der notwendigen Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams unabdingbar.
Wissenschaft als Knotenpunkt für den Austausch
Gleichzeitig müssen die pädagogischen Fachkräfte die Möglichkeit haben, sich aktiv in die Qualitätsdiskussion einzubringen. Hier ist die Wissenschaft gefragt. Neue Projekte und Studien können unter Einbindung der Fachpraxis entwickelt werden. Forschungsergebnisse sollten handlungsorientiert für die Akteure im System Kindertagesbetreuung aufgearbeitet und mit den Beteiligten diskutiert werden. Neben dem intradisziplinären Austausch in Fachpraxis und Fachwissenschaft sollte der kontinuierliche Austausch zwischen den Disziplinen zum festen Bestandteil einer anwendungsorientierten Forschung werden. Durch ein solches transdisziplinäre Vorgehen werden die unterschiedlichen Perspektiven und die Komplexität des Systems Kindertagesbetreuung erfasst.
Diese Form des Wissenstransfers muss sich jedoch entwickeln und im System verankert werden. Eine gemeinsame Sprache muss gefunden werden, die Rolle der pädagogischen Fachkräfte als Expert_innen muss herausgearbeitet werden. Gelingt dieser Prozess, so kann Qualität in einem transparenten Dialog weiterentwickelt werden, in dem auch Aussagen darüber getroffen werden, was Kindertagesbetreuung leisten kann und wo die Grenzen liegen. So erhalten auch die Eltern realistische und hoffentlich immer überzeugendere Antworten auf ihre berechtigte Frage: „Was macht ihr in den Kitas mit unseren Kindern?“
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf BOLD – Blog on Learning and Development (in englischer Sprache) veröffentlicht.
Literatur
Friederich, Tina; Schoyerer, Gabriel (2016): Professionalisierung des Systems Kindertagesbetreuung. In: Friederich, Tina; Lechner, Helmut; Schneider, Helga; Schoyerer, Gabriel; Ueffing, Claudia (Hrsg): Kindheitspädagogik im Aufbruch
Über die Autorin
Hilke Lipowski ist Bildungswissenschaftlerin (M.A.) und verfügt über langjährige Berufserfahrung als Erzieherin. Derzeit ist sie als wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut e.V. in der Abteilung Kinder und Kinderbetreuung (Fachgruppe: Pädagogische Konzepte für die Kindheit) beschäftigt. Ihre Schwerpunkte sind eine diversitätsbewusste Pädagogik der Kindheit, Kindertagespflege und Theorien der Erwachsenenbildung. Von 2016 bis 2018 war Hilke Lipowski Herausgeberin des Zukunfts-Handbuch Kindertageseinrichtungen.