Jugendgerichtshilfe - eine stete Herausforderung

Jugendgerichtshilfe – eine stete Herausforderung Bruno Philipp Sichtweisen 100 Jahre Jugendgerichtshilfe

www.WALHALLA.de ISBN 978-3-8029-7351-2 € 19,95 [D] • AKTUELL • PRAXISGERECHT • VERSTÄNDLICH WISSEN FÜR DIE PRAXIS Stellung der Jugendgerichtshilfe in der Sozialen Arbeit Anlässlich des 100. Geburtstags des Jugendgerichtsgesetzes blickt der Autor auf die Entwicklung der Jugendgerichtshilfe und beschreibt daraus ableitend zeitlose Anforderungen an die Institution Jugendgerichtshilfe. Sein Blick richtet sich besonders auf die Person der jungen Menschen im Jugendgerichtsverfahren sowie auf gesellschaftliche Sichtweisen von Jugendkriminalität im Wandel der Zeit. Bruno Philipp arbeitete über 30 Jahre als Sozialarbeiter in der Jugendgerichtshilfe und ist auch nach seinem Ruhestand mit ihr verbunden geblieben. Seine Erfahrungen und Sichtweisen brachte und bringt er nach wie vor durch veröffentlichte Fachbeiträge, bei Lehraufträgen, bei Fortbildungen für Verfahrensbeteiligte und Schöffen ein.

Schnellübersicht 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 Vorwort 7 Neue Aufgabe 11 Mitwirkung in Verfahren 15 Zu früh oder zu spät 17 Erwischt - Was dann? 21 Erziehungsgedanke zwischen den Stühlen 25 Erziehung statt Strafe 29 Jugendgerichtshilfe und Erziehung 31 Jugendstrafverfahren 37 Ambulanter Bereich 57 Stationärer Bereich 85 Fachdienst Jugendgerichtshilfe 97

16 15 14 13 12 Blick über den Tellerrand 109 Zeitgeist 121 Sichtweisen 131 Literaturverzeichnis 133 Stichwortverzeichnis 137

Vorwort 7 www.WALHALLA.de „Laß dir von keinem Fachmann imponieren, der dir erzählt: 'Lieber Freund, das mache ich schon seit zwanzig Jahren so!' Man kann eine Sache auch zwanzig Jahre lang falsch machen.“ Kurt Tucholsky Vorwort Über die Jugendgerichtshilfe (JGH) zu schreiben, verlangt zugleich, die jungen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, denen sie verpflichtet ist. In einer Einführung zum RJWG von 1923 heißt es u.a., dass die JGH die Interessen der mit dem Strafgesetz in Widerspruch geratenen Jugendlichen im Strafverfahren wahrzunehmen hat.1) Eine zeitlose Herausforderung und Verpflichtung der JGH. Sie muss die Subjektivität der jungen Menschen respektieren. Angesichts ihrer Verfehlungen und Schuld dürfen sie nicht als ein erziehungsbedürftiges Objekt wahrgenommen werden. Ihnen mit gefühlsmäßiger Zuwendung zu begegnen, heißt nicht, ihr Versagen und ihre Schuld zu beschönigen. In der heutigen Diskussion zur Jugendkriminalität mangelt es an Zuwendung und Wärme. Die Auffassung von Justiz und Politik, Jugendkriminalität mit Strenge und Härte begegnen zu müssen, ist ein Beleg dafür. In diesem Klima muss die JGH ihre Verpflichtung gegenüber den jungen Menschen wahrnehmen. Das ist ihr nur möglich, wenn sie gewillt und in der Lage ist, selbstbewusst einen Standpunkt mit eindeutigem Profil einzunehmen, den sie überzeugend nach Innen und Außen vertritt. Das Aufgabenspektrum der JGH umfasst ihre Mitwirkung in den Verfahren, ihr Angebot erzieherischer Hilfen im ambulanten und stationären Bereich, ihre Kooperation mit Justiz, Polizei und dem Jugendstrafvollzug und Aufgaben, die sie eigenverantwortlich über ihre primären Verpflichtungen hinaus übernimmt. Nachfolgend werden die einzelnen Aufgabenbereiche beschrieben. Sie sind miteinander verknüpft und aufeinander abgestimmt. In ihnen muss sich die Verpflichtung der JGH gegenüber den jungen Menschen widerspiegeln. Dieser Einklang kennzeichnet die JGH. 1) Engelmann, 1923, S. 49

Vorwort 8 www.WALHALLA.de Das Buch beschreibt meine Sichtweisen und Positionen, die sich auf meinem Weg in der JGH entwickelt und gefestigt haben. Diesen Weg ging ich nicht allein, es war ein gemeinsamer Weg in unserer JGH. Die Beschreibung des Weges verstehe ich nicht als Arbeitsanleitung oder Arbeitshilfe für die JGH. Mein Blick richtet sich auf die Sozialarbeit. Sieht sie sich als Organ oder als Instrument der Gesellschaft? Die Antwort bedingt das Selbstverständnis der JGH, die Teil der Sozialarbeit ist. Versteht sich die JGH als ein Instrument von Justiz und Gesellschaft oder bringt sie sich als ein selbstbewusstes Organ der Sozialarbeit ein, dem die Wahrnehmung der Interessen der mit dem Strafgesetz in Widerspruch geratenen jungen Menschen obliegt. Das eigenständige und selbstbewusste Handeln der JGH muss sich in jedem ihrer Arbeitsschritte, auf die ich eingehe, widerspiegeln. In Praktika erlebte ich Menschen mit geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung. Der starre Blick auf ihre Beeinträchtigung, auf das, was nicht möglich zu sein schien, verschloss die Sicht auf individuelle Fördermöglichkeiten und minderte Zutrauen, neue Wege zu wagen. Im Jugendstrafverfahren ist es der Blick auf junge Menschen, die entweder als Straftäter, Beschuldigte, Angeklagte, Probanden oder Klienten wahrgenommen werden. Ihre Person tritt in den Hintergrund, sie sollen die ihnen zugewiesenen Rollen annehmen und erfüllen. Eine Zumutung, ihrer Person je nach Rolle ein Etikett anzuheften und ihre Persönlichkeit auf die jeweilige Rolle zu reduzieren. Doch nur durch die Berücksichtigung ihrer ganzen Persönlichkeit kann es gelingen, dass sie aus ihrem Fehlverhalten lernen und wieder zu sich selbst finden können. Deshalb schreibe ich von jungen Menschen, nicht von jungen Straftätern. Auf meinem Weg in der JGH schnürte ich ein umfangreiches Bündel mit vielfältigen Erfahrungen. Erfahrungen der Freude, der Zuversicht und der Hoffnung, aber auch der Enttäuschung, des Zweifels und der Hoffnungslosigkeit. Erfahrungen mit der Justiz und ihren unterschiedlichen Einstellungen und Erwartungen gegenüber der JGH. Erfahrungen mit geschlossenen und offenen Türen gegenüber der JGH. Die Erfahrungen gaben Kraft, ließen nicht mutlos werden. Wir machen Erfahrungen, doch Erfahrungen machen uns, so Eugène Ionesco. Der Begriff Jugendgerichtshilfe wurde 1923 in das RJWG aufgenommen. Im SGB VIII § 52 heißt es jetzt „Mitwirkung in Verfahren nach

Vorwort 9 www.WALHALLA.de dem Jugendgerichtsgesetz“ anstelle von Jugendgerichtshilfe. Da der Begriff Jugendgerichtshilfe in der Praxis weiterhin ein gebräuchlicher Begriff ist und er in § 38 JGG steht, verwende ich ihn ebenfalls. Ich träumte, das Leben sei Freude. Ich erwachte und fand, das Leben war Pflicht. Ich arbeitete und sah, die Pflicht war Freude. L. A. Seneca Bruno Philipp arbeitete über 30 Jahre als Sozialarbeiter in der Jugendgerichtshilfe und ist ihr auch nach seinem Ruhestand verbunden geblieben. Seine Erfahrungen und Sichtweisen brachte er bei Lehraufträgen, bei Fortbildungen für Verfahrensbeteiligte und Schöffen ein und im Ruhestand auch weiterhin durch veröffentlichte Fachbeiträge. Anlässlich des 100. Geburtstags des Jugendgerichtsgesetzes blickt er – mit sehr persönlichen Erinnerungen – auf die Entwicklung der Jugendgerichtshilfe und beschreibt daraus ableitend zeitlose Anforderungen an sie.

1. Neue Aufgabe 11 www.WALHALLA.de 1 1. Neue Aufgabe Zum ersten Mal begegnete ich der JGH im Jahrespraktikum. In dem Jugendamt (JA) arbeiteten Innen- und Außendienst getrennt voneinander. Der Außendienst erstellte die JGH-Berichte und der Innendienst trug sie in den Gerichtsverhandlungen vor. Die jungen Menschen waren dem Außendienst meistens unbekannt. Mir fiel die Aufgabe zu, die JGH zu vertreten. Mein Hinweis auf die unzureichenden Kenntnisse wurde abgetan mit der Aufmunterung „das schaffen sie schon“. Jahrespraktika dienten in der Zeit oft dazu, mit ihnen aus Kostengründen Planstellen zeitweise zu besetzten. Ist es heute anders? So war ich lediglich ein Gerichtsgeher. Den jungen Menschen war ich ebenso fremd wie sie mir fremd waren. Die Situation versuchte ich etwas abzumildern, indem ich mich bemühte, vor den Verhandlungen auf dem Gerichtsflur die jungen Menschen wenigstens kennenzulernen. Ein schwieriges Unterfangen, denn die jungen Menschen kannte ich nicht vom Ansehen. Durch Beobachtung und zurückhaltende Fragen gelang es vielfach herauszufinden, wer von den Beteiligten der Angeklagte war. Ich konnte mich vorstellen und ein kurzes Gespräch mit ihnen führen. Schilderten sie in der Verhandlung z. B. ihre persönliche Situation anders als im Bericht dargestellt, so gab es keine Möglichkeit, den Widerspruch aufzuklären. Anfänglich fühlte ich mich durch meine Unsicherheit an den Urteilsvorschlag gebunden, selbst bei Zweifeln. Die Betroffenen waren mir gegenüber eher misstrauisch, weil sie nicht wussten, was sie von mir erwarten konnten. Und für das Gericht erfüllte ich bestenfalls eine rechtliche Vorgabe des JGG. Mit einer Kollegin begann ich in der JGH. Uns beiden mangelte es an praktischen Fähigkeiten für diese Aufgabe. Im Studium wurde auf die geschichtliche Entwicklung der JGH eingegangen, nicht auf die Praxis. Das geschichtliche Wissen war später hilfreich bei der gesellschaftlichen Einordnung der JGH. Vor diesem Hintergrund begann mein Weg mit neuen und noch unbekannten Anforderungen. Jetzt, selbst in der JGH, die seit Jahren innerhalb des JA ein Fachdienst war, wurden die notwendigen Arbeitsschritte mit der Zeit vertrauter. Und in den Gerichtsverhandlungen war ich für die jun-

1. Neue Aufgabe 12 www.WALHALLA.de 1 gen Menschen kein Unbekannter mehr und sie waren für mich nicht mehr fremd. Gespräche wurden in der JGH geführt oder bei Hausbesuchen. Überwiegend waren es Hausbesuche, denn durch sie ließ sich Wohnumfeld, familiäre Situation und Einbindung der jungen Menschen in ihrer Familie besser kennenlernen. Anfangs war die Arbeit auf das Verfahren, die Gerichtsverhandlung ausgerichtet. Dem Gericht lagen die Berichte vor und in den Verhandlungen wurden sie gegebenenfalls in den mündlichen Stellungnahmen ergänzt. Berichte und Stellungnahmen sollten dem Gericht dienen, Entscheidungen zu finden, die wiederum den jungen Menschen ermöglichen sollten, aus ihrem Fehlverhalten zu lernen. Unsere Tätigkeit sollte also zugleich dem Gericht und den jungen Menschen zugutekommen. Bald schon drängte sich die Frage auf, ob die Arbeit lediglich auf die Mitwirkung in den Verfahren beschränkt sein soll. Es war äußerst unbefriedigend, in einer Gerichtsverhandlung auf gebotene Hilfen zu verweisen, sie selbst aber nicht anzubieten und zu leisten. Die Praxis, dass sich der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) um die notwendigen Hilfen kümmern sollte, bewährte sich nicht. Die jungen Leute fühlten sich zu Recht weitergereicht und der ASD sah sich nicht als geeigneter Ansprechpartner für „straffällige Jugendliche“. Die jungen Leute weiterzureichen, sich selbst zu überlassen, widersprach dem Grundverständnis von Sozialarbeit. Die Tätigkeit durfte nicht mehr auf die Mitwirkung im gerichtlichen Verfahren beschränkt bleiben. In einer Einführung von 1923 zum damaligen RWJG heißt es: „Die Jugendgerichtshilfe als besonderer Zweig der Jugendhilfe wird von der amtlichen Begründung zum RJWG bezeichnet als die ‚Wahrnehmung der Interessen der mit dem Strafgesetz in Widerspruch geratenen Jugendlichen im Strafverfahren und die Unterstützung der am Strafverfahren beteiligten Gerichts- und Polizeibehörden. Diese Tätigkeit beginnt schon bei den Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft über die Straftat; sie enthält die Mitwirkung in der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter ...’. Die Jugendgerichtshilfe gehört nach § 3 Ziffer 5 des RJWG zu den Pflichtaufgaben des Jugendamtes.“2)Der Wahrnehmung der Interessen der jungen Menschen wurde als besondere Aufgabe der JGH ein Vorrang eingeräumt. Die JGH wurde als ein besonderer Zweig der Jugendhilfe 2) Engelmann, 1923, S. 49

1. Neue Aufgabe 13 www.WALHALLA.de 1 (JGH) gesehen. Erst danach ging es um die Mitwirkung im Verfahren und die Unterstützung der Verfahrensbeteiligten. Diese Beschreibung der Anforderung an die JGH, geschrieben von einem Landgerichtspräsidenten, wurde in Gesprächen mit anderen Verfahrensbeteiligten zwar nicht abgetan, jedoch eher als eine romantisch verklärte Beschreibung gesehen, der ein Praxisbezug fehlen würde. Von da ab war es eine verpflichtende Aufgabe, eine Betreuung3) durch die JGH im Sinn des damaligen Jugendwohlfahrtsgesetzes (JWG) zu leisten. Eine Selbstverständlichkeit, oder? Die JGH war und ist eine Pflichtaufgabe der JH. Deshalb muss sie im Rahmen der Verfahrenshilfe gleichzeitig prüfen, ob andere Leistungen der JH für junge Menschen in Betracht kommen und ob sie diese selbst erbringen kann. Das SGB VIII vermeidet den Begriff Jugendgerichtshilfe. Statt Jugendgerichtshilfe heißt es jetzt „Mitwirkung in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz“ (§ 52 SGB VIII). So soll der sozialpädagogische Auftrag der JH in Strafverfahren mit jungen Menschen herausgestellt werden. Jugendhilfe in Strafverfahren (JuHiS) statt JGH. Den Auftrag, Leistungen der JH zu erbringen, hatte die JGH schon immer. Anderenfalls hätte die Justiz eine Gerichtshilfe als Verfahrenshilfe für das Jugendstrafverfahren einrichten können. Seit jeher ist vielmehr und weiterhin zu fragen, ob und wie die JGH als eine Aufgabe der JH ihren Auftrag wahrgenommen hat und wahrnimmt und ob die Kritik, sie habe eher ihren Platz im Souterrain der Justiz, berechtigt ist? Soll die begriffliche Änderung – JuHiS statt JGH – mehr als ein Etikettentausch sein, dann muss die Praxis auch tatsächlich dem sozialpädagogischen Auftrag der JH entsprechen. Ein Etikettentausch bewirkt nicht zwangsläufig eine verbesserte Praxis. Es ist eine mühevolle Anforderung, die Praxis entsprechend zu verändern und weiterzuentwickeln. Es bedurfte damals, wie heute der Einsicht und Verantwortung kommunaler Politik und Verwaltung, dafür die Voraussetzungen zu schaffen und zu gewährleisten, selbst dann, wenn mehr Kosten anfallen. Ebenso gilt, die Justiz zu gewinnen, diesen Weg zu akzeptieren und mitzugehen. Dazu gehört ferner, öffentliche Vorein3) Dyck, R. & Philipp, B., 1975, S. 425

1. Neue Aufgabe 14 www.WALHALLA.de 1 genommenheit gegenüber jungen Menschen in diesem Bereich zu überwinden. Eine Aufgabe, die Geduld, Überzeugungskraft und Hartnäckigkeit erfordert. Leichter lässt sich ein Etikett austauschen: „Die großen Taten haben einen großen Feind. Die großen Worte“ (S.J. Lec). Für die Sozialarbeit ist die Wahrnehmung der Interessen der mit dem Strafgesetz in Widerspruch geratenen Jugendlichen im Strafverfahren das Leitmotiv. Die eigenen Sichtweisen änderten sich. Das zu Beginn als das Übliche übernommene, wurde überdacht und infrage gestellt, ohne dabei die Wahrnehmung der Interessen der mit dem Strafgesetz in Widerspruch geratenen Jugendlichen im Strafverfahren außer Acht zu lassen. Einvernehmlich wurde die neue Aufgabe als Pflicht der JGH angenommen. Vincent van Gogh sieht die Normalität als eine gepflasterte Straße, auf der man gut gehen kann – doch auf ihr wachsen keine Blumen.

2. Mitwirkung in Verfahren 15 www.WALHALLA.de 2 2. Mitwirkung in Verfahren Die JGH als ein eigenständiger Verfahrensbeteiligter soll gem. § 38 JGG u. a. die erzieherischen und sozialen Gesichtspunkte in Verfahren vor den Jugendgerichten zur Geltung bringen und sich zu möglichen Maßnahmen äußern. Sie ist im gesamten Verfahren gegen einen Jugendlichen heranzuziehen. In der grundsätzlichen Zielsetzung „ein Leben ohne Straftaten“ stimmen JH und Justiz überein. Doch es offenbart sich ein Spannungsverhältnis zwischen Justiz und JH, das aus den unterschiedlichen Erwartungen an die JGH erwächst. Das Spannungsverhältnis, der Dualismus von Justiz und JH, ist ein andauernder Konflikt bis heute. Es ist und bleibt ein aktuelles Thema im Jugendstrafrecht. Der Begriff suggeriert, die JGH sei eher oder fast ausschließlich als Hilfe für das Gericht zu verstehen und kaum oder gar nicht als eine Leistung der JH: „Zunächst bestätigt es sich durch die tägliche Praxis seit langem und immer wieder neu, dass die Bezeichnung Jugendgerichtshilfe nicht mehr stimmt: Jugendgerichtshilfe heißt nämlich nur ‘Hilfe für das Jugendgericht’.“4) 1982 kommt Momberg zu dem Ergebnis, dass es nicht gut um die JGH bestellt ist, sie nur einen begrenzten Einfluss auf die richterliche Entscheidung hat5) und noch 1990 schreibt Breymann zur Rolle der JGH im Justizsystem: „Der Jugendgerichtshelfer versteht sich eben als Helfer des Gerichts und sei es auch, um dessen belastende (Straf-) Maßnahme zu rechtfertigen. Mangelnde Ausbildung oder auch ein Abschleifen in den Mühen der Praxis, wo Mißerfolge und Enttäuschung die tägliche Erfahrung sind, mögen als Erklärung dienen.“6) Vielfach spielte in Diskussionen die Suche nach einem anderen Begriff für „Jugendgerichtshilfe“ eine übergeordnete Rolle. Es waren teils zeitraubende und hitzige Debatten. Ein neuer Begriff, so die Hoffnung, würde die JGH zweifelsfrei als eine Leistung der JH kennzeichnen, die auch Leistungen über die Mitwirkung in Verfahren hinaus zu erbringen hat. Aufgrund eigener Erfahrung fiel es mir schwer, nachzuvollziehen, dass erst ein anderer Begriff ein umfassendes Handeln im Sinn der JH ermöglicht. Die eigene Praxis bewies, dass der Begriff „Jugendgerichtshilfe“ kein Hemmnis war, sondern es entscheidend auf das eigene Wollen ankam. Ich räume 4) Klier, R. / Brehmer, M. /Zinke, S., 2002, S. 21 5) Momberg, R., 1982, S. 342 6) Breymann, K., 1990, S. 9

2. Mitwirkung in Verfahren 16 www.WALHALLA.de 2 ein, dass ich in diesen Diskussionen gelegentlich ungehalten und verständnislos reagierte, insbesondere, wenn ich den Eindruck gewann, der Begriff Jugendgerichtshilfe müsse als Rechtfertigung für unzureichendes Handeln herhalten oder für eine Nabelschau, bei der die jungen Menschen außer Acht blieben. Selbstverständlich sind grundsätzliche Diskussionen unverzichtbar, sie dienen der Weiterentwicklung und der Überprüfung der eigenen Arbeit. Sie dürfen nicht zum Selbstzweck werden, sonst geraten die aus dem Blick, um die es geht – die jungen Menschen. Die Diskussionen führten inhaltlich zu einvernehmlichen Ergebnissen: ▪▪ die JGH ist ein eigenständiger Verfahrensbeteiligter und sie unterliegt keinem Weisungsrecht der Justiz ▪▪ gegenüber der Justiz ist herausgestellt, dass die JGH als Leistung der JH selbst entscheidet, wann, wie und in welchem Umfang sie ihre Aufgaben wahrnimmt ▪▪ die JGH muss auch Leistungen der JH erbringen, wenn sie für junge Menschen erforderlich sind. Die damalige Stimmung konnte als ein Aufbruch in der JGH gesehen werden: „Sie ist nicht mehr auf die Aufgabe der Gerichtshilfe fixiert und verliert den Makel eines Mitwirkungsgehilfen für Gericht und Staatsanwaltschaft.“7) 7) Philipp, B., 1990, S. 500

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