Ressourcenschonend – nachhaltig – bedarfsorientiert M A N A G E M E N T S O Z I A L E S & G E S U N D H E I T BLAUE R E I HE Paul Brandl INNOVATIVES BESCHAFFUNGS- MANAGEMENT IN DER SOZIALWIRTSCHAFT
www.sozialmanagement-praxis.de ISBN 978-3-8029-5429-0 Prof. Dr. Paul Brandl, ehemals Professur an der FH-Oberösterreich – Department Sozial- und Verwaltungsmanagement, Lehrbeauftragter, Fachautor, Berater im Bereich der Sozial- und Gesundheitswirtschaft; seine Arbeitsschwerpunkte sind Prozessoptimierung und Qualitätsmanagement. Mehr Wertschöpfung für soziale Dienstleister Nach den Personalkosten ist die Beschaffung der zweitgrößte Budgetposten sozialer Dienstleister. Führungskräfte tun daher gut daran, im Zuge der Unternehmensführung auch diesen Posten im Auge haben. Das spart Zeit, Geld und Material. Vor allem aber optimiert es in Zeiten des Fachkräftemangels den Einsatz von Personal, das die gewonnene Zeit mit Klienten nahen Auf- gaben verbringen kann. Von einem professionellem Beschaffungsmanagement haben alle etwas: Der Dienstleister, weil er mehr Wertschöpfung hat, die Klient:innen, weil sie besser versorgt werden. Das Buch beantwortet folgende Fragestellungen: Q 9KG MCPP GKPG 1TICPKUCVKQP OKV YGPKIGT RGTUQPGNNGO ƂPCP\KGNNGO WPF materiellem Ressourceneinsatz orientiert an den Klient:innenbedürfnissen ökologischer und wirtschaftlicher arbeiten? Q Wie kann mittels eines Reifegrad-Modells eine Einstufung der vorhan- denen Prozesse und Dienstleistungen erfolgen und diese in ein prozess- basiertes Managementsystem überführt werden? Q Wie kann eine systematische und strategische Weiterentwicklung der Teilprozesse und Dienstleistungen angestoßen werden? Praxisbeispiele aus dem Alltag sozialer Unternehmen und Organisationen in Deutschland und Österreich vermitteln exemplarisch Einsichten und Methoden, die angepasst für die eigene Organisation eingesetzt werden können. Das Buch ist somit ein umfassender Ratgeber für Dienstleister in der Sozialwirtschaft, die die Professionalisierung ihrer Beschaffungsprozesse angehen, aber die Klient:innen, die oftmals auf Unterstützung angewiesen ist, nicht aus dem Blick verlieren. € 34,95 [D] € 36,00 [A]
Inhaltsverzeichnis www.WALHALLA.de 5 Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis .................................................................. 8 Tabellenverzeichnis ....................................................................... 10 Abkürzungsverzeichnis ................................................................. 11 1. Die Beschaffung gewinnt in der Sozialwirtschaft an Bedeutung ..................................................................... 13 2. Die Sozialwirtschaft vor der nächsten Stufe der Professionalisierung .................................................... 19 2.1 Der Einkauf am Wendepunkt zur Beschaffung ................ 19 2.1.1 Die Grundannahmen des Input-Output-Modells erweitern ............................................................................. 20 2.1.2 Die kulturelle und normative Ebene ................................. 24 2.1.3 Die strategische Ebene ....................................................... 27 2.1.4 Die operative Ebene – Prozesse optimieren und neu gestalten . ............................................................................ 30 2.2. Der Einkauf als Beschaffungsprozess ................................ 49 2.2.1 Die Vorarbeiten zu einer prozessbasierten Ausschreibung . ................................................................... 49 2.2.2 Vergabe bleibt zentrales Instrument ................................. 59 2.2.3 Das Instrument der Ausschreibung ................................... 63 3. Die Wirkung des Beschaffens sichtbar machen ............... 89 3.1 Wirkungen werden mit Reifegraden erstmals sichtbar ... 90 3.2 Büromaterial mit weniger Aufwand beschaffen .............. 93 3.2.1 Grundlagen für die Reifegrade der Versorgung mit Büromaterial .................................................................... 93 3.2.2 Projektumgebung – Auslöser – Ablauf ............................. 98
Inhaltsverzeichnis 6 www.WALHALLA.de 3.2.3 Das fünfteilige Reifegradschema für Büromaterial ....... 100 3.2.4 Möglichkeiten für kleinere soziale Dienstleister ............ 102 3.3 Reinigung: „Make or Buy“? ............................................. 104 3.3.1 Grundlagen für die Reifegrade der Reinigung ............... 105 3.3.2 Projektumgebung – Auslöser – Ablauf ........................... 107 3.3.3 Das fünfteilige Reifegradschema für die Reinigung ...... 111 3.4 Inkontinenzmaterial: Lieferung nach Bedarf ................. 114 3.4.1 Grundlagen für die Reifegrade der Belieferung mit Inkontinenzmaterial .................................................. 114 3.4.2 Projektumgebung – Auslöser – Ablauf ........................... 117 3.4.3 Das fünfteilige Reifegradschema für Inkontinenz- material ............................................................................. 120 3.5 Wäscheversorgung – Mit Service-Levels zu konfigurier- baren Dienstleistungen .................................................... 121 3.5.1 Grundlagen für die Reifegrade der Wäsche- versorgung ........................................................................ 121 3.5.2 Das fünfteilige Reifegradschema für Wäsche- versorgung ........................................................................ 125 3.5.3 Potenziale für die Zukunft ............................................... 127 3.6 Medikamente personalisiert verpacken .......................... 128 3.6.1 Grundlagen für die Verblisterung ................................... 128 3.6.2 Verblisterung: Problemstellungen ................................... 130 3.6.3 Reifegrade der Medikamentenverblisterung ................. 131 3.6.4 Potenziale für soziale Dienstleister und Apotheken ...... 132 3.6.5 Reifegrad 5 für ein regionales Netzwerk ........................ 133 3.7 Grundlagen für die Versorgung ...................................... 141 3.7.1 Der Verbraucher steuert die Bestellung .......................... 141 3.7.2 Das fünfteilige Reifegradschema für Pflegeartikel ........ 144 3.7.3 Potenzial der neuen Organisationsform ......................... 146
Inhaltsverzeichnis www.WALHALLA.de 7 3.8 Essensversorgung auf dem Weg zu Reifegraden ........... 146 3.8.1 Den Unterstützungsprozess der Essensversorgung handhabbar machen ........................................................ 146 3.8.2 Essensbestellung ............................................................... 147 3.8.3 Zubereiten und Liefern .................................................... 148 3.8.4 Warenwirtschaft ............................................................... 150 3.8.5 Entsorgen, wegräumen und abwaschen ......................... 151 3.9 Internen Dienstleistern mehr digitalen Stellenwert geben . ............................................................................... 152 3.9.1 Den Fuhrpark nicht nur optimieren, sondern neugestalten ..................................................................... 152 3.9.2 Facilitymanagement: eine handhabbare Größe ............. 158 3.9.3 Hintergrundpotenzial bei den Dienstleistern ................. 162 4. Der Weg in die digitale und agile Zukunft ..................... 171 4.1 Anfangen und Nachmachen ............................................ 172 4.2 Begrenzte Ressourcen strategisch sinnvoll nutzen ......... 174 5. Anhang: Verblisterung von Medikamenten ................... 177 6. Literaturverzeichnis .......................................................... 179 7. Veröffentlichungen des Autors rund um das Thema ..... 189 7.1 Publikationen .................................................................... 189 7.2 Lebenslauf ......................................................................... 190 Stichwortverzeichnis ................................................................... 191
Abbildungsverzeichnis 8 www.WALHALLA.de Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Das Input-Output-Modell mit der Produktion als Blackbox ........................................................ 20 Abbildung 2: Das SIPOC-Modell – auch LIPOK-Modell – genannt . ............................................................. 21 Abbildung 3: Prozesse helfen, das Input-Output-Denken zu überwinden ................................................... 22 Abbildung 4: Ebenen des Unternehmens, Rollen und Aufgaben .................................................... 23 Abbildung 5: Die strategischen Treiber der Sozial- wirtschaft ............................................................ 27 Abbildung 6: Die Mobilitätsgalerie des Alters mit fünf fik- tiven Personen mit abnehmender Mobilität .... 29 Abbildung 7: Das Instrument der Prozesslandkarte am Beispiel eines Alten- und Pflegeheimes ...... 30 Abbildung 8: Hierarchische Darstellung eines Prozesses auf vier Ebenen ......................................................... 32 Abbildung 9: Der PDCA-Kreislauf als Problemlösungsstory ..... 34 Abbildung 10: Die 4-Schritte-Methode zur systematischen Verbesserung ...................................................... 35 Abbildung 11: Der Prozess des Service-Designs ........................ 38 Abbildung 12: Die Quadromo-Methode mit ihren vier Schritten ....................................................... 39 Abbildung 13: Die Wirkung erweitert den Blickwinkel des/ der Betrachter:in auf den Nutzen für die Klient:innen und den gesellschaftlichen Nutzen . ............................................................... 40 Abbildung 14: Die Wirkung von Prozessen und Dienst- leistungen ........................................................... 41 Abbildung 15: Reifegrade sind im EFQM bereits enthalten ..... 45 Abbildung 16: Reifegradmatrix in allgemeiner Form ............... 46 Abbildung 17: Definition der Beschaffung nach Reife- graden ................................................................. 47 Abbildung 18: Allgemeines Kalkulationsschema ...................... 67
Abbildungsverzeichnis www.WALHALLA.de 9 Abbildung 19: Beispiel für Reifegrade von „Büromaterial“ .... 69 Abbildung 20: Wirkung – Zeitdimension und Unternehmens- ebene verbinden ............................................. 75 Abbildung 21: Neue Anforderungen in das alte Leitbild integrieren ....................................................... 76 Abbildung 22: Das (Maximal-)Modell der „Sozialquelle“, das nach dem regionalen Bedarf konfiguriert werden kann ................................................... 78 Abbildung 23: Pepper – der humanoide Roboter .................. 90 Abbildung 24: Verblisterung von Medikamenten als Beispiel für strategieorientierte Veränderung ............ 92 Abbildung 25: Beispiel „Der Einkauf entwickelt sich zur Beschaffung“ – X = Start, Y = angestrebtes Ziel ..................................................................... 101 Abbildung 26: Reinigungsplan für einen Raum bei Medventuro ................................................ 106 Abbildung 27: Projektstrukturplan .......................................... 109 Abbildung 28: Maßnahmenplan 1 ........................................... 110 Abbildung 29: Maßnahmenplan 2 ........................................... 111 Abbildung 30: Reifegradmatrix für die Reinigung, Start X und Ziel Y .......................................................... 112 Abbildung 31: Digitalisieren und Dezentralisieren hilft. ........ 116 Abbildung 32: Die grafische Gegenüberstellung der Prozesse alt-neu zeigt bereits die Verbesserung ........... 119 Abbildung 33: Inkontinenzmaterial – Projekt x und Projekt y . 120 Abbildung 34: Verschwendungsanteile bei der Wäsche- versorgung ........................................................ 122 Abbildung 35: Wäscheversorgung alt-neu .............................. 125 Abbildung 36: Reifegrad bei der Wäscheversorgung ............. 126 Abbildung 37: Optimieren und Neugestalten am Beispiel der Verblisterung von Medikamenten ............ 131 Abbildung 38: Die funktionale Organisation der derzeitigen mobilen Betreuung und Pflege ....................... 136 Abbildung 39: LISSI in grafischer Form .................................... 140
Tabellenverzeichnis 10 www.WALHALLA.de Abbildung 40: Beispiel für ein Barcodesystem in einem Krankenhaus ..................................................... 141 Abbildung 41: Das QR-Code-System ........................................ 142 Abbildung 42: Reifegrad bei Pflegeartikeln: Start eines Projektes bei x und Ziel bei y ........................... 145 Abbildung 43: Definition der Prozessschritte im Rahmen der Essensversorgung ....................................... 147 Abbildung 44: Notfalldose mit analogen Notfalldaten .......... 156 Abbildung 45: Reifegrade für den Fuhrpark entwickeln ....... 157 Abbildung 46: Reifegradmatrix auch für Facility- management in Entwicklung .......................... 161 Abbildung 47: Diskussionsvorschlag für die Reifegrade der Buchhaltung – Eingangsrechnungen ........ 165 Abbildung 48: Diskussionsvorschlag für die Reifegrade der Personalverwaltung und -verrechnung ..... 167 Abbildung 49: Diskussionsvorschlag für die Reifegrade der IT ................................................................. 169 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Liste der Lieferanten gereiht nach Volumen/Jahr ................................................... 50 Tabelle 2: Einsparungen im Einkauf ................................ 62 Tabelle 3: Formen des Einkaufs ....................................... 65 Tabelle 4: Gegenüberstellung Mengenkontrakt – Rahmenvertrag ................................................ 95 Tabelle 5: Merkmale einer mitwachsenden Pflege- dokumentation in einer regionalen elektronischen Administrationszentrale ......... 139 Tabelle 6: Hauspost mit elektronischer Unterstützung ..... 163 Tabelle 7: Potenzial bei einer zentralen Hauspost für etwa zehn Außenstellen ............................ 163
1. Die Beschaffung gewinnt in der Sozialwirtschaft an Bedeutung www.WALHALLA.de 13 1. Die Beschaffung gewinnt in der Sozialwirtschaft an Bedeutung Spricht man mit Führungskräften aus der Sozialwirtschaft, wird der „Einkauf“ selten als „Beschaffung“ bezeichnet und häufig als ne- bensächlicher und lästiger Themenbereich gesehen. Drei schriftliche Angebote sind beinahe der Gipfel des bürokratischen Eisberges. Neben Budgetnöten wird das formale Korsett der Ausschreibung als umständlich und zeitraubend hinsichtlich des Prozederes und als innovationshemmend oder zumindest einengend im Blick auf neue Entwicklungen empfunden. Das günstigste Angebot bietet in der Regel zwar nicht den optimalen Nutzen, aber das Bestpreisprinzip wird als zu aufwendig erlebt. Tendenziell wird deshalb meist auf bisher übliche Produkte zurückgegriffen. Eine intensivere Auseinandersetzung unterbleibt aus Zeitgründen oder weil „dafür ohnehin kein Geld da ist“. Damit verläuft die Einführung neuer Produkte und Dienstleistungen mit Mehrwert in der Sozialwirtschaft oft sehr langsam und zögerlich. Auch bei vielen Wissenschaftler:innen und Lieferanten ist der Blick – schenkt man Google-Abfragen Glauben – noch immer auf den engeren Begriff des Einkaufs und nicht auf den umfassenderen Begriff der Beschaffung und die damit verbundenen Prozesse gerichtet. Die Fragestellungen der Publikationen zielen häufig auf „Tipps & Tricks“ rund um die Bestellung und die damit zusammenhängende Geschäftsanbahnung samt Preisverhandlungen ab. Sucht man gezielt nach „Beschaffung“ oder englisch „Procurement“, wird die Anzahl der Treffer noch geringer. Offenbar ist das Thema noch nicht angekommen. Eine Literaturrecherche rund um die Beschaffung in der Sozialwirtschaft liefert ebenfalls nur spärliche und wenig innovative Ansatzpunkte. Hier findet man Einkaufsgemeinschaften im Sinne von „gemeinsames Einkaufen in größeren Mengen und zu besseren Preisen“ (z. B. in CH: Curaviva, 2022, BRD: EIS, 2022, A: Handover, 2022) und das Thema „Nachhaltigkeit“ oder neue Produkte bzw. Dienstleistungen, deren Mehrwert auf Leitmessen wie der ConSozial (https:// www.consozial.de) oder der „Altenpflege“ (https://www.altenpflegemesse.de) oft zu wenig im Vordergrund steht. Auch das Erproben in Pilotprojekten samt der dazugehörigen Publikation der Ergebnisse erfolgt in der Sozialwirtschaft meist eher im „Stillen“, weshalb eine konsequente „Ausrollung“ wenig systematisch erfolgt, zu wenig gefördert wird und damit meist mehrere
14 www.WALHALLA.de 1. Die Beschaffung gewinnt in der Sozialwirtschaft an Bedeutung Jahre dauert. Das Motto lautet: „Die Organisation X hat das ein- geführt, das will ich auch haben!“ oder „Die Organisation Y hat da ganz viele Schwierigkeiten gehabt, das lassen wir lieber!“ So ist und bleibt das Thema „Beschaffung“ wenig beachtet. Der Blick auf Wertschöpfungspotenziale ist weitgehend auf „Sparen beim Einkauf“ beschränkt, die Prozess- oder Folgekosten werden kaum betrachtet, ein Denken in „Lebenszyklen“ unterbleibt. Zu den Begriffen Einkauf und Beschaffung: Im Zuge der Recherchen entstand der Eindruck, dass der „Einkauf“ weitgehend nur Vertragsgestaltung, Lieferung, Zahlung und Einhaltung der Vergaberichtlinien umfasst. Die „Beschaffung“ wird als der wesentlich weiter gefasste Begriff gesehen, in dem auch Themen wie optimierte Lagerhaltung, Entsorgung von Abfällen und Einsatz der IT subsumiert sind. Auch Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Hygiene, Versorgungssicherheit und die Zusammenarbeit von Kund:innen und Lieferanten sind integriert oder integrierbar. Damit ist dies auch jener Begriff, mit dem in dieser Publikation gearbeitet wird. Dies hilft ganz besonders dann, wenn Ziele wie Ökonomie und Ökologie einen hohen und möglichst gleich großen Stellenwert wie etwa die „Klient:innenzufrieden- heit“ erhalten sollen. Die bisher verfolgte Vorgangsweise „Ersetzen eines Produktes durch ein baugleiches umweltfreundlicheres Produkt“ oder „Weglassen von Verpackungsmaterial“ reicht in Zukunft nicht mehr. Das Denken muss auf den Lebenszyklus eines Produktes bzw. einer Dienstleistung ausgeweitet werden, womit sich auch die anfallenden externen und internen Kosten anders darstellen. Einen großen Anstoß lieferte die Pandemie mit dem seither geforderten hygienischeren Arbeiten (nicht nur) bei vulnerablen Zielgruppen und der damit verbundenen Digitalisierung von Prozessen. Das Thema Versorgungssicherheit und der Medikamentenmangel waren weitere Impulse. Von der Schnittstelle zur Nahtstelle Beschaffung wird als Summe von Prozessschritten von der Bestellung bis zur Entsorgung begriffen. Es gilt dabei, jene Bedingungen zu ermitteln, die für Lieferanten und Kund:innen notwendig sind, um einem Kauf von Waren oder Dienstleistungen zuzustimmen – häufig unter Verwendung eines klar definierten Ausschreibungsverfahrens, das zunehmend unter dem Motto „Von der Schnittstelle zur Nahtstelle“ steht. Öffentliche Unternehmen und Einrichtungen
1. Die Beschaffung gewinnt in der Sozialwirtschaft an Bedeutung www.WALHALLA.de 15 definieren Prozesse der Vergabe, die darauf abzielen, einen fairen und offenen Wettbewerb zu fördern und gleichzeitig Risiken wie Betrug und Absprachen zu minimieren. Die Beschaffung (nicht nur der Einkauf) soll zudem aus organisatorischer Sicht einen Prozess sicherstellen, in dem der Käufer Waren, Dienstleistungen oder Werkleistungen zum bestmöglichen Preis erhält, wenn Aspekte wie Qualität (inklusive Lebenszyklus), Kosten der Prozesse von Lieferanten und Kund:innen, Quantität, Zeit und Ort etc. verglichen werden. Damit drängt sich die Frage auf, wie eine systematische Optimierung der Teilprozesse unter Einbeziehung der obigen Aspekte am besten sichtbar gemacht werden kann. Die Visualisierung der Unterstützungsprozesse, beginnend mit einer Prozesslandkarte und darauffolgend z.B einer Swimlane (vgl. etwa Brandl, 2021), ermöglicht eine bewusste Ausrichtung auf die strategischen Ziele und den Unternehmenszweck des sozialen Dienstleisters. Damit sollte der Nutzen einer nachhaltigen, ökonomischen und risikominimierenden Be- schaffung – ausgerichtet an den Bedürfnissen der Klient:innen – ausreichend Thema werden können. Leitfragen der Publikation: • Welchen Beitrag leistet die Beschaffung zum größtmöglichen Kund:innen- bzw Klient:innennutzen? • Wie kann mit minimalem personellen, finanziellen und ma- teriellen Ressourceneinsatz – orientiert an den Bedürfnissen der Klient:innen – möglichst ökologisch und wirtschaftlich gearbeitet werden? • Welche Kultur der Zusammenarbeit ist mit Einbindung der IT hilfreich und möglich? • Wie kann in einem prozessbasierten Managementsystem mittels eines Reifegradmodells eine Einstufung des jeweiligen Prozesses und der jeweiligen Dienstleistung erfolgen? • Wie kann im Sinne eines Transformationsmanagements eine systematische und strategische Weiterentwicklung der Teilprozesse und Dienstleistungen angestoßen werden? Aufbau der Publikation: Nach den Personalkosten ist die Beschaffung der zweitgrößte Budgetposten eines sozialen Dienstleisters. Sie ist in der funktionalen Betrachtung ein – wenn auch nicht immer
16 www.WALHALLA.de 1. Die Beschaffung gewinnt in der Sozialwirtschaft an Bedeutung sichtbar gemachter – Teil der sozialen Dienstleistung (vgl. Grunwald, 2022). Deshalb sollten (angehende) Führungskräfte im Zuge der Unternehmensführung auch die Beschaffung im Auge haben. Auch deshalb, weil der Sozialwirtschaft als viertem Sektor der Gesamtwirtschaft (und damit auch ihren Beschaffungsprozessen) ein bedeutender Stellenwert zukommt. Anders als in der Produktion hat der Einkauf bei sozialen Dienstleistern derzeit als Unterstützungsprozess noch einen eher geringen Stellenwert. Mit der älter werdenden Bevölkerung und deren abnehmender Mobilität wachsen aber die Fragen nach der Versorgung dieser oft vulnerablen Zielgruppe. Zudem entwickeln sich soziale Dienstleistungen in Richtung personenindividueller Services. Damit wachsen auch der Stellenwert und das Potenzial der Beschaffung. Gerade bei Personen mit Selbstversorgungsdefiziten kommt der Sozialwirtschaft zunehmend die Funktion der Fürsorge bzw. des Versorgers zu. Damit steigt der Stellenwert der Beschaffung auch aus Sicht der Klient:innen. Beschaffung strategisch ausrichten Insgesamt lohnt sich also eine strategische Ausrichtung der Beschaffungsprozesse. Dies kann gelingen, indem alle in jüngster Zeit gestiegenen Anforderungen gesammelt, bewertet und als strategische Treiber in die konkrete Ausgestaltung der Dienstleistungen integriert werden. Nachfolgend die zentralen Herausforderungen: • Effizienz und Effektivität als wesentliche strategische Treiber • nachhaltiges Gestalten von Prozessen • Berücksichtigung der demografischen Entwicklung der Klient:in- nen • Personalmangel als Treiber der technologischen Entwicklung • Risikomanagement als gestaltender Faktor bei Hygiene und Versorgungssicherheit • Anpassung des juristischen Gestaltungsrahmens • Anpassung der IT an den Stand der Technik Ausgerichtet auf die strategischen Treiber sind die theoretischen Grundlagen für die Teilprozesse zu identifizieren und darzustellen, um die derzeitigen und in der nahen Zukunft liegenden Anforderungen zu bewältigen und somit die brachliegenden Potenziale nutzen zu können. Während die strukturellen Möglichkeiten seitens
1. Die Beschaffung gewinnt in der Sozialwirtschaft an Bedeutung www.WALHALLA.de 17 der Organisationstheorie auf der Hand liegen, sind die Veränderungen im Bereich der technologischen Möglichkeiten eine Herausforderung, wenn es etwa gilt, Schnittstellen zu Nahtstellen weiterzuentwickeln, neue Standards für Prozesse und Dienstleistungen zu setzen oder die Möglichkeiten der technologischen Entwicklungen mit angepassten Rahmenbedingungen optimal zu nutzen. Zudem bedarf es auch einer kulturellen Weiterentwicklung der sozialen Dienstleister, die neue Formen der Zusammenarbeit hervorbringen sowie ihren Umgang mit Kund:innen und Klient:innen weiterent- wickeln müssen: von der agilen Organisation hin zur Netzwerkorganisation. Ein neues interdisziplinäres Verständnis von Qualität, wie es vom pQMS extended® bekannt ist, steht damit an der Spitze der Überlegungen. Daraus resultieren als Wegweiser die fünfstufigen Reifegrade, die über Optimieren der Prozesse und Neugestalten der Dienstleistungen in Anlehnung an das St. Galler-Management-Modell (Rüegg-Stürm/Grand, 2020) eine klare Orientierung geben. Es gilt nicht nur, eine Ausrichtung der Prozesse zu ermöglichen, es muss sich auch ein neues Verständnis von Effizienz und Effektivität für Lieferanten, Versorger und Klient:innen entwickeln. Ein möglichst minimaler Ressourceneinsatz, verbunden mit der ökologischen Ausrichtung der Beschaffung, geht einher mit standardisierten Abläufen. Das Thema Wirkung kommt somit als neuer Be- griff dazu. Eine effiziente und effektive IT wird so zur Basis und ermöglicht das Erschließen neuer Wertschöpfungspotenziale in Kombination mit den Möglichkeiten der agilen Organisation. Praktische Beispiele veranschaulichen anhand der Reifegrade den Stand der Beschaffung und nehmen die Weiterentwicklung ein Stück vorweg. Insbesondere die Prozesslandkarte kann den Fokus genau auf die zu entwickelnden Teilprozesse legen. Mit den Reifegraden kann auch grafisch gezeigt werden, welche Entwicklungen bereits angestoßen wurden und welche Reifegrade zukünftig an- gestrebt werden sollen. Besonderen Stellenwert gewinnt die Unterstützung durch eine IT, die die Bedarfe der Unterstützungsprozesse mit einem möglichst hohen Reifegrad abdeckt. Die Publikation wendet sich an folgende Zielgruppen: • Führungskräfte, da sie eine wegbereitende und gestaltende Rolle bei der Initiierung, Steuerung und Erfolgsbewertung der Prozess- optimierung und Dienstleistungsentwicklung übernehmen und „Ermöglicher“ neuer Lösungen und Träger des Unternehmenswandels sind,
18 www.WALHALLA.de 1. Die Beschaffung gewinnt in der Sozialwirtschaft an Bedeutung • Mitarbeitende, denn sie sollen zu aktiven Mitgestalter:innen in Transformationsprojekten werden, • Lieferanten, die mit ihren Klient:innen zusammenarbeiten wollen und über Win-win-Situationen zu mehr gemeinsamer Wertschöpfung gelangen können, • Studierende im Bereich der Sozialwirtschaft, da sie als „Nachwuchskräfte“ eine relevante Zielgruppe für die künftige Unternehmensentwicklung sind und • Lehrende an Hochschulen, weil sie eine relevante Zielgruppe in Bezug auf die Qualifizierung der Studierenden sind. Die in der Publikation enthaltenen Fallbeispiele sind nicht nur auf die mobile und stationäre Altenbetreuung und -pflege sowie die Behindertenarbeit anwendbar, sondern auf den gesamten Bereich der Sozialwirtschaft. Die zugrunde liegende Theorie des Prozessmanagements ist länderübergreifend (DACH) anwendbar – von kleinen legistischen Abweichungen abgesehen. Das Buch ist so geschrieben, dass die Leser:innen die Konfiguration der Beschaffung im eigenen Unternehmen hinterfragen und auftauchende Konfliktzonen sowie Lösungsmöglichkeiten benennen können. In einem zweiten Schritt sollte es möglich sein, einen Zukunftsentwurf für den eigenen Teilprozess zu konfigurieren und, gegebenenfalls mit Beratung, auch umzusetzen. Ein „Danke!“ an alle Unterstützer:innen, Gesprächs- und Koopera- tionspartner:innen, die bei der Durchführung von Beratungsprojekten sowie im Rahmen von Bachelor-, Master- und Projektarbeiten eingebunden waren. Ausdrücklich danke ich an dieser Stelle der Firma Arjo für die Genehmigung des Einsatzes der Mobilitätsgalerie als Grundlage für eine effiziente und effektive Arbeitsweise zusammen mit der Prozessorganisation. Mein Dank gilt allen, die an der Gestaltung des Buches mitgewirkt haben – insbesondere dem Beiratsgremium des Walhalla-Fachverlages Regensburg sowie Frau Barbara Bayer und Frau Isabel Krieger, die das Buchprojekt in bewährter Form – von der Idee über die Ausgestaltung bis zur Realisierung des Manuskriptes in Buchform – betreut haben. Leonding, im April 2024 Paul Brandl
2. Die Sozialwirtschaft vor der nächsten Stufe der Professionalisierung www.WALHALLA.de 19 2. Die Sozialwirtschaft vor der nächsten Stufe der Professionalisierung 2.1 Der Einkauf am Wendepunkt zur Beschaffung Die Sozialwirtschaft ist in den letzten Jahrzehnten stetig gewachsen. Dies wird mit einem Blick auf die Entwicklung der Wirtschaftssektoren deutlich. So umfassen die Dienstleistungen mittlerweile rund 60 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung, während der primäre Sektor auf etwa fünf Prozent zurückgegangen ist und der sekundäre Sektor bei etwa 35 Prozent steht (teachsam.de, 2022). Es scheint nun an der Zeit, den Dienstleistungssektor als „tertiäres Schwergewicht“ zu teilen und daraus einen quartären Sektor herauszulösen. Dieser umfasst in den Augen des Autors drei Tätigkeitsbereiche: Gesundheitswirtschaft, Sozialwirtschaft und Public Management. Zusammen kommen diese auf über 30 Prozent der Wirtschaftsleistung (vgl. Kriegel, 2022). In den weiteren Ausführungen der Publikation wird speziell auf die Sozialwirtschaft eingegangen. Sie be- schreibt jenen Teil eines Wirtschaftssystems, der sich im Wesentlichen mit Leistungen zum Nutzen der Gesellschaft und des einzelnen Menschen mit Selbstversorgungsdefiziten befasst – vom Kleinkind bis zum/zur hochbetagten Senior:in. Im Zentrum stehen soziale Probleme und das Erbringen von sozialen Dienstleistungen für Menschen mit Unterstützungsbedarf. Das Sachziel der Sozialwirtschaft besteht in der direkten Produktion oder besser im Erstellen von Dienstleistungen für die individuelle und gemeinschaftliche Wohlfahrt. Damit hat das sozialwirtschaftliche Handeln sowohl ökono- mische als auch soziale Aspekte. Als Teil des Dienstleistungssektors ist die Sozialwirtschaft zwischen dem privatwirtschaftlichen (Märkte mit Angebot und Nachfrage) und dem öffentlichen Sektor (Staat) angesiedelt. Als Branche betrachtet, stellt sie somit einen besonderen Bereich der ökonomischen Wertschöpfung in der Arbeitswelt dar. Der Grund dafür ist, dass die wirtschaftlichen Leistungen im Wesentlichen über den Staat refinanziert werden und die Organisationen häufig gemeinnützig ausgerichtet sind. Ihre Dienstleistungen müssen allerdings sozialwirtschaftlich erfolgen und heutzutage auch wirtschaftliches Denken berücksichtigen. Es ist deshalb auch in der Sozialwirtschaft erforderlich, die zur Verfügung gestellten Ressourcen möglichst effizient und effektiv einzusetzen.
2.1 Der Einkauf am Wendepunkt zur Beschaffung 20 www.WALHALLA.de Nach Wendt (vgl. 2022) bedarf es dreier Säulen für ein funktionierendes Zusammenwirken: • der Wirtschaft, • des Sozialen und • der Nachhaltigkeit/Ökologie. Auch wenn das Optimieren der bestehenden Dienstleistungen im Rahmen der funktionalen Organisation in geringem Ausmaß noch Wertschöpfungspotenzial zu generieren vermag, so wird ein „weiter wie bisher“ immer schwerer. Es gilt, das Denken zu verändern und mit neuen Ansätzen nach Wertschöpfungspotenzialen zum Nutzen der Gesellschaft und des einzelnen Menschen zu suchen. 2.1.1 Die Grundannahmen des Input-Output-Modells erweitern Die allgemeine Lehrmeinung geht davon aus, dass für eine Produktion oder das Erbringen von Dienstleistungen ein Input von Mit- arbeitenden und in Form von Material- und Hilfsstoffen, Maschinen etc. notwendig ist. Diese Bestandteile werden „transformiert“ und in Güter bzw. Dienstleistungen umgewandelt: Input Produktion Output Abbildung 1: Das Input-Output-Modell mit der Produktion als Blackbox Dieses Erstellen wird in der Regel als „Blackbox“ betrachtet. Erst wenn diese „funktionale Organisation“ genauer unter die Lupe genommen wird, können sowohl der Input als auch der Output präziser definiert und damit gesteuert werden. Dies wird erst im Sinne der Weiterentwicklung des Input-Output-Modells in Richtung der Prozessorganisation möglich. Zum besseren Verständnis des Prozessdenkens wird nachfolgend das „SIPOC“-Modell als grundlegendes Denkmodell vorgestellt. SIPOC ist die Abkürzung für die fünf Kategorien, die für die Prozessbeschreibung entscheidend sind: Der Supplier (Lieferant) als Ausgangspunkt liefert einen Input, der dann in einem Prozess (= meist mehrere Prozessschritte) be- bzw. verarbeitet wird und zu einem Output führt. Dieses Ergebnis wird in Form von Produkten oder Dienstleistungen an den Customer (= Kund:innen oder Klient:innen) geliefert. Grafisch lässt sich dies wie folgt darstellen:
2. Die Sozialwirtschaft vor der nächsten Stufe der Professionalisierung www.WALHALLA.de 21 Abbildung 2: Das SIPOC-Modell – auch LIPOK-Modell – genannt Ein Prozess reicht in Anlehnung an das SIPOC-Modell vom Lieferanten bis zur Übergabe an die Kund:innen und zur Bezahlung der Ware bzw. Dienstleistung. Durch die Überwindung des Input-Output-Denkens wird mit der Einführung der Prozesse die Möglichkeit geschaffen, den Ressourceneinsatz präziser und auch schonender zu planen, zu realisieren, zu steuern und weiterzuentwickeln. Die oben angesprochenen Prozesse können in zwei Richtungen gedacht werden. Es beginnt als Weiterentwicklung der funktionalen Organisation. Damit geht die Denkrichtung der Prozesse zu- nächst vom Lieferanten aus und wird konsequent auf die Kund:innen bzw. Klient:innen ausgerichtet. Diese Optimierung ermöglicht eine Reihe von Verbesserungen durch das Eliminieren von „nichtwert- schöpfenden“1 Prozessanteilen. Wenn diese gewünschten Optimierungen nicht mehr zu einer Steigerung der Effizienz und zu einem höheren Effekt führen, muss der nächsthöhere Reifegrad angestrebt werden. Erst damit wird es möglich, die (nicht-)wertschöpfenden und konfliktären Prozessschritte bzw. -anteile zu identifizieren und weitgehend zu eliminieren. 1 nicht wertschöpfende Arbeit umfasst alle Aktivitäten, Tätigkeiten und Prozesse, die Zeit, Ressourcen und/oder Raum kosten, aber nicht zur Erfüllung der Kund:innenanforderungen beitragen. Verschwendung ist damit der Teil der Arbeit, für den der/die Kund:in nicht zahlt, z. B. den internen Transport von Briefen in einem Unternehmen (analog statt digital).
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