Von fremd zu bekannt – Aufbau interkultureller Kompetenz in der Verwaltung Beate Antonie Tröster Unterschiede verstehen, Fehleinschätzungen und Missverständnisse vermeiden – so gelingt ein wert- schätzender Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen
,QWHUNXOWXUHOOH .RQʴLNWH HUNXQGHQ HLQVFK¦W]HQ vermeiden Die Mitarbeiter in Kommunen und Behörden sind tagtäglich mit Menschen unterschiedlicher Nationalität konfrontiert. Das stellt eine enorme Herausforderung dar und verlangt viel Einfühlungsvermögen. Kulturelle Sensibilität als Fähigkeit mit Menschen anderer Herkunft angemessen umzugehen, wird zu einer Schlüsselkompetenz. Im Behördenalltag zeigt sich jedoch, dass es hier noch viel zu lernen gibt, um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden. • Warum braucht es ein wertschätzendes Zusammenwirken? • :DV LVW .XOWXU XQG ZLH EHHLQʴXVVW VLH XQVHU 'HQNHQ XQG +DQGHOQ" • :LH YHUZDQGHOQ VLFK NXOWXUHOOH 8QWHUVFKLHGH LQ LQWHUNXOWXUHOOH .RQʴLNWH" • Wie erkennt man die eigene kulturelle Prägung? Welche Muster und Werte haben wir verinnerlicht? • Was bedeutet Fremdheit und wie gehen wir damit um? • Wie gelingt eine wertschätzende Beziehung mit Kulturfremden? • Was bedeutet interkulturelles Aushandeln? Wie funktioniert ein Gespräch, ein gelingender Kontakt? • Was sind kulturelle Grenzen und wie erkennt man sie? • Wie können Verwaltungen den Herausforderungen der Zuwanderung begegnen? Die Beantwortung dieser Kernfragen schafft Klarheit, vermeidet Fehldeutungen, fördert das Verständnis und baut Handlungsfähigkeiten aus. Diese Arbeitshilfe orientiert sich am Praxisalltag. Jedes Kapitel befasst sich mit einer 3HUVRQ DXV GHU 9HUZDOWXQJ GLH VLFK LQ HLQHU XQNODUHQ LQWHUNXOWXUHOOHQ 6LWXDWLRQ EHʳQdet und zeigt, wie diese bewältigt werden kann. Checklisten und praktische Übungen laden ein, sich im Selbsttest mit den jeweiligen Problemen auseinanderzusetzen. Beate Antonie Tröster ist Dozentin und Lehrbeauftragte für Interkulturelle Kompetenz, früher Geschäftsleiterin des Zentrums für Integration und Migration und des Netzwerkes für Integration der Landeshauptstadt Erfurt. ISBN 978-3-8029-1699-1 € 54,95 [D] www.WALHALLA.de • AKTUELL • PRAXISGERECHT • VERSTÄNDLICH WISSEN FÜR DIE PRAXIS
Welche Ausgangspunkte gibt es? 7 www.WALHALLA.de Welche Ausgangspunkte gibt es? Das Buch „Von fremd zu bekannt – Aufbau interkultureller Kompetenz in der Verwaltung“ unterstützt Sie darin, einen wertschätzenden Umgang mit fremden Kulturen zu pflegen. Dafür stelle ich wissenschaftliche Erkenntnisse zur interkulturellen Kompetenz vereinfacht dar. Wer allerdings eine Handlungsanweisung für ein spezielles Land sucht, wird sie hier nicht finden. Gemeinsam konzentrieren wir uns auf kulturübergreifendes Handeln, ohne uns in länderspezifischen Details zu verlieren. Die Empfehlungen können an jede Kultur angepasst werden, vorausgesetzt, jeder Mensch wird individuell beachtet und wertgeschätzt. Doch lassen Sie mich kurz erklären, wie ich dazu komme, ein Buch zu schreiben. Ich lebe in einer Großstadt und seit ungefähr zwanzig Jahren beschweren sich Menschen anderer Herkunft über fehlende Unterstützung und Verständnis. Die Angebote der Vereine, Organisationen und Ämter erreichen sie nicht. Die Stadtverwaltung erklärt: Wir möchten, dass Sie sich der Sache annehmen und ein Netzwerk für Integration aufbauen. Doch als ehemalige Programmgestalterin einer östlichen Konzert- und Gastspieldirektion gab es dazu keinen Bezug. Sofort denke ich: Integration ist nicht mein Thema. In meinem Umfeld herrschen meistens negative Einstellungen und erhebliche Bedenken und Unsicherheiten gegenüber Menschen aus anderen Ländern. So begleiten mich quälende und angstvolle Gefühle. Mir ist unklar, ob es mir gelingt, ausländische Menschen und deren fremdes Verhalten tiefer zu verstehen, ihre Gefühle zu begreifen, mit ihnen umzugehen, ohne sie zu verletzen. Nach langem innerem Ringen überzeugt mich das sympathische Lächeln einer vietnamesischen Frau. Obwohl sie mir fremd und stolz vorkommt, beeindruckt sie mich mit ihrer freundlichen, wissbegierigen, offenen und hilfsbereiten Art. Zugleich erinnere ich mich an all meine wertschätzenden Erfahrungen und unvergesslichen Erlebnisse mit ausländischen Kolleginnen Kollegen in der Projektarbeit mit Frankreich, Polen, Ukraine, Tunesien und Russland. Ich entscheide mich, die Herausforderung anzunehmen, obwohl ich nicht weiß, wie es mir gelingt, die Hintergründe der Eigenarten anderer Kulturen festzustellen.
Vorwort 8 www.WALHALLA.de Ab da verändert sich meine Einstellung gravierend. Das Thema sollte meine zukünftige berufliche Tätigkeit bestimmen und gewinnt zunehmend mein Herz. Folglich beschäftige ich mich mit fremdartigen Verhaltensmustern und der Frage, wie ich die Bedürfnisse und Anliegen von Zugewanderten erkennen kann. Zugleich erfasse ich aus dem interkulturellen Labyrinth das vorhandene Spektrum an Angeboten, Projekten und kleinen Aktionen, um alles transparent zu machen. Eine Besonderheit fällt mir immer wieder auf. Beschäftigte im Integrationsgeschehen meinen zu wissen, was Zugewanderte benötigen, ohne sie einzubeziehen oder anzuhören. Das wiederum erweist sich als problematisch für die Integration und führt zu Diskrepanzen. Insgesamt wird mir klar, es geht um mehr als nur die sprachliche Verständigung. Unterdessen fungiere ich als Übersetzerin für ungewohntes Verhalten. Und ganz ehrlich, manchmal komme ich an Punkte, da beginne ich an meinen eigenen Fähigkeiten zu zweifeln und benötige selbst Hilfe. Wie ein Spürhund erkunde ich den literarischen Wald und suche nach einer begleitenden Anleitung, die mir schnelle Unterstützung im Arbeitsalltag bietet. Solch ein Mentor in Buchform wäre genau das Richtige. Er würde mir einfache Hintergründe erklären, mir Klarheit verschaffen und mich anregen, Neues auszuprobieren. Dafür würde ich einen sichtbaren Dauerplatz auf meinem Schreibtisch reservieren. Stattdessen entdecke ich komplizierte wissenschaftliche Artikel und Abhandlungen sowie theorielastige Bücher, mit denen ich nichts anfangen kann. Für das Nachschlagen von Fremdwörtern fehlt mir die Zeit. Ich will alles gleich verstehen und anwenden. Meine unbeantworteten Fragen schreien nach Aufklärung. Denn rasch merke ich, dass mein Verhalten gegenüber Menschen aus fremden Kulturen nicht immer funktioniert. Aber warum? Und wie gelingen erfolgreiche Begegnungen der Kulturen? Können wir die kulturellen Barrieren überhaupt überwinden? Tatsächlich wird mir immer klarer, dass interkultureller Kontakt und Begegnungen die Basis für Zusammenarbeit und Vernetzung sind. Sie sind das benötigte Fundament, wie bei einem Hausbau. So nutze ich das Prinzip von Versuch und Irrtum. Dahinter steckt der Grundgedanke: Menschen lernen durch Fehler. Durch aktives Ausprobieren und Erkunden erkenne ich, was nicht funktioniert, und
Welche Ausgangspunkte gibt es? 9 www.WALHALLA.de lerne dabei zunehmend mehr. Jede Erfahrung, die ich mache, führt mich zu besseren Entscheidungen, Handlungen und Ergebnissen. So gelingt es mir gemeinsam mit fünf Migrantenvereinen, das Zentrum für Integration und Migration zu gründen, das bis heute wirkungsvoll tätig ist. Eines Morgens, kurz vor dem Aufstehen, meldet sich eine innere Stimme und fordert: „Schreib das Buch doch selbst!“ Sofort entgegnet eine andere Stimme in meinen Kopf: „Das kannst du doch gar nicht. Lass es sein!“ Doch die Idee breitet sich aus und gewinnt an Form. Nun beginne ich, in meinem Arbeitsalltag interkulturelle Begebenheiten zu erforschen und spüre den Drang, alles aufzuschreiben. Aufmerksam reflektiere ich Missverständnisse, Fehleinschätzungen und das von meiner Kultur Abweichende. Dafür nutze ich jede Gelegenheit: Egal ob auf der Straße, im Büro, am Telefon, in Gesprächen oder im Urlaub, es macht großen Spaß. Es beginnt eine spannende Entdeckungsreise. Schnell finde ich heraus, dass mich hauptsächlich fehlerhafte Medien- und Presseberichte aufregen. Ungeachtet der Realitäten gerät Spektakuläres ins Blickfeld der Medien und landet somit bei der Bevölkerung. Mir fehlt eine ordentliche Recherche. Nur wenige Fernsehbeiträge oder Filme besitzen einen Bezug zur Realität. Die Medienschaffenden vergessen wichtige Details, was ein unvollständiges Bild der Integration bei der Öffentlichkeit erzeugt. Es stimmt mich traurig, wenn Millionen von Menschen mit irritierenden Informationen oder halben Wahrheiten konfrontiert werden und sich deshalb Meinungen bilden, die hinderlich für ein gemeinsames vielfältiges Zusammenleben sind. Ebenso erlebe ich daraus resultierende Kränkungen und Verletzungen von Menschen aus anderen Ländern. Ungefragt wird über eine Minderheit entschieden. Ich finde, es gehört sich nicht, Menschen abzuurteilen und auszugrenzen, ohne sie zu kennen. Erscheint es nicht widersprüchlich, wenn die aufnehmende Gesellschaft einerseits verlangt, dass sich Zugewanderte integrieren, und sich andererseits aber isoliert und jeglichen Kontakt vermeidet. Wissen Sie, was mich noch wütend macht? Häufig wird aus dem Blickwinkel der Gleichmacherei beurteilt und dabei werden pauschal vorhandene Vorurteile genutzt. Sehr wenige Personen fragen die Betreffenden selbst. Es berührt mich, wenn Menschen, egal aus
Vorwort 10 www.WALHALLA.de welcher Kultur, ignoriert oder übergangen werden, als ob sie nicht existent oder anwesend wären. Stellen Sie sich vor, Sie sind sehr krank. Im Warteraum des Klinikums warten Sie nun schon drei Stunden. Jetzt kommt die Arzthelferin und sagt: „Kommen Sie morgen wieder, es ist nicht so schlimm.“ Da fragen Sie sich doch, mit welchem Recht diese Person bestimmt, wie es Ihnen gerade geht. Einen derartigen Umgang erleben häufig Einwanderinnen und Einwanderer in vielen Bereichen in Deutschland. Ich stelle fest, dass die aufnehmende Gesellschaft unübersehbar Einwanderinnen und Einwanderer als eine einheitliche Gruppe der Ausländer*innen ansieht, ungeachtet deren Nationalitäten. Sie gelten ohne Differenzierung als „Nichtdeutsche“. Tatsächlich handelt es sich um Menschen, die vielfältig und einzigartig sind und sich aus verschiedenen Gründen in Deutschland aufhalten. Es gibt viele Situationen, in denen ich unkorrekte Meinungen, Unwahrheiten, Irrtümer oder fehlerhafte Informationen korrigieren muss. All die Erfahrungen, besonderen Eindrücke und anderen Sichtweisen gebe ich an Sie weiter. Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie sicherer im Umgang mit Menschen anderer Herkunft und erkennen die Bereicherung für Ihr Leben, die Gesellschaft und Ihre Tätigkeit. Vor Ihnen liegt ein Handbuch mit begleitenden Übungen, schnell erfassbarem und anwendbarem Wissen sowie Beispielen aus dem alltäglichen Leben. Damit besitzen Sie einen Türöffner für den wertschätzenden Umgang mit Menschen aus fremden Kulturen. Die Namen, die Sie in diesem Buch finden, sind kreativ ausgetauscht und spiegeln keine realen Personen wider. Sie helfen, neue Einsichten und Perspektiven zu gewinnen, um das Thema auf eine ansprechende Weise zu betrachten. Wie können Sie das meiste aus diesem Buch herausholen? Mit diesem Buch erhalten Sie eine Anleitung, wie Sie mit Menschen aus anderen Kulturen tolerant umgehen können. Sie erfahren, was es mit Ihrer eigenen Einstellung zu Menschen aus fremden Kulturen auf sich hat. Schritt für Schritt erkennen Sie Hintergründe, die Ihr individuelles Handeln ausmachen und unterstützen. Damit fühlen Sie sich sicherer und zuversichtlicher.
Wie können Sie das meiste aus diesem Buch herausholen? 11 www.WALHALLA.de Mit den Tools bekommen Sie anwendbare Erkenntnisse und erreichen zügig persönliche Fortschritte. Das Wissen wird Ihr Leben bereichern, wenn Sie sich darauf einlassen. Einmal angewandtes Wissen bleibt, da es sich als konkrete Erfahrung manifestiert. Zusammenhänge werden Ihnen klarer, interkulturelle Fehldeutungen können Sie erkunden, einschätzen und zukünftig vermeiden. Je nach Ihrem persönlichen Kenntnisstand, Ihren Erfahrungen und Erfordernissen, bietet Ihnen das Buch individuelle Strategien, fremdes Verhalten zu deuten, um Klarheit zu gewinnen. 1. Durchlesen Sie können das Buch als Lehrbuch nutzen und Kapitel für Kapitel durcharbeiten. Das empfehle ich Ihnen, wenn Sie bisher noch wenig mit dem Thema zu tun hatten. 2. Praktische Übungen und Tools Verfügen Sie bereits über interkulturelles Wissen und Erfahrungen? Dann können Sie sofort die entsprechenden Kapitel lesen und die praktischen Übungen und Tools ausprobieren. Übungen und Tools Seite Tool „Kulturdreieck“ 59 Tool „Analysieren Sie Ihre kulturelle Familie“ 63 Tool „Perspektivwechsel“ 122 Tool „Kulturelle Muster erkennen“ 165 Tool „Werte ermitteln“ 166 Tool „Kultureller Rucksack“ 168 Tool „Wie ausgeprägt ist Ihre kulturelle Flexibilität?“ 220 Tool „Wie empathisch sind Sie?“ 222 Tool „Checkliste für Gesprächsvorbereitung“ 281 Tool „Eigene Grenzen erkennen“ 310 3. Eigene Strategie entwickeln Anhand Ihrer persönlichen beruflichen Situation wählen Sie Übungen und Tools, die Sie benötigen, und können diese gleich in der Praxis anwenden. Für alles Weitere gibt es den theoretischen Teil sowie im Inhaltsverzeichnis eine Übersicht über die wesentlichen Fragen. Sie ermitteln punktuell das Wichtigste für sich. So entwickeln Sie Ihre eigene, funktionierende Lösungsstrategie.
Vorwort 12 www.WALHALLA.de 4. Von anderen lernen Möchten Sie ein Coaching, das Ihnen spezifische Kenntnisse und geeignete Methoden aus dem Arbeitsalltag offenbart? Dann lernen Sie aus den Praxisbeispielen der Verwaltung. Begleiten Sie Beschäftigte aus verschiedenen Bereichen und erleben Sie deren interkulturelle Höhen und Tiefen. Praxisgeprägte Ereignisse aus dem Arbeitsalltag öffnen Ihnen die Augen und leisten Ihnen brauchbare Unterstützung. Für wen eignet sich das Buch? Das Buch ist für Sie geeignet, wenn Sie einer Tätigkeit nachgehen, bei der Menschen anderer Herkunft zu ihrem Kundenkreis gehören bzw. künftig zu Ihrem Kundenkreis gehören sollen. Aber auch wenn das Thema Integration und Zuwanderung für Sie neu ist, finden Sie Anregungen und Hinweise. Es ist ebenso hilfreich, wenn Sie bereits über einschlägige Erfahrungen verfügen und weitere Hintergrundinformationen und Hinweise benötigen. Sollten in Ihrer Alltagspraxis ungewohnte interkulturelle Herausforderungen bestehen, erhalten Sie Unterstützung bei Entscheidungen und bei der Umsetzung Ihrer Handlungen. Dieses Buch nützt Ihnen, wenn Sie ▪▪ neugierig und bereit sind, über sich und andere Menschen nachzudenken, ▪▪ eine praktische Anleitung benötigen, um zu verstehen, wie Sie gut mit Kulturunterschieden umgehen können, ▪▪ Hintergrundwissen brauchen, um sich wertschätzend und tolerant zu verhalten, ▪▪ bereit sind, verschiedene Tools und Methoden auszuprobieren, um mehr Sicherheit im eigenen Handeln zu gewinnen, ▪▪ gerne experimentieren und mehr über sich selbst herausfinden möchten. Die Inhalte verstehen Sie ohne Vorwissen und detaillierte Zusammenhänge. Im Buch enthalten sind Erfahrungen, Anleitungen, Übungen, Tipps und persönliche Geschichten. Sie sind noch skeptisch, ob das alles wirklich etwas nützt? Dann probieren Sie es aus.
Was nützt Ihnen das Wissen? 13 www.WALHALLA.de Was nützt Ihnen das Wissen? Sicher ist Ihnen schon aufgefallen, dass interkulturelles Wissen und handhabbare Umgangsweisen in der Verwaltung nur spärlich zu finden sind. Das liegt darin begründet, dass erst seit Ende der 90er-Jahre sich die Wissenschaft in den USA des Themas annimmt. Anlass dafür sind die rasanten Migrationsbewegungen auf der ganzen Welt und die daraus resultierenden notwendigen wissenschaftlichen Betrachtungen. Deutschland entschied sich Anfang der 50er- und 60er-Jahre für die Aufnahme von Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern im westlichen Teil und Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeitern im östlichen Teil, zunächst nur als befristete. Doch das funktioniert nicht, denn Angehörige kommen nach und es gründen sich Familien. Sie haben sicherlich bereits erkannt, dass Integration nicht von heute auf morgen erfolgt, sondern einen langwierigen und komplexen Prozess darstellt. Es wird klar, dass Menschen und Kulturen sich ständig verändern und wir uns selbst ständig weiterentwickeln. Wir sollten uns auf diese Situation einstellen. Dies verlangt Zeit und Geduld. Ein beruhigender Gedanke, nicht wahr? Bei der Begegnung mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen können Probleme und Missverständnisse auftreten: Sei es, weil Sie die Sprache nicht beherrschen oder weil Ihr Gegenüber Ihre Sprache nur wenig versteht. Je mehr wir uns von unserer eigenen Kultur entfernen, desto ungewohnter wird später das Verhalten innerhalb unserer kulturellen Gemeinschaft auf uns wirken. Sie haben bestimmt schon erlebt, dass Zugewanderte anders als erwartet reagieren. Aus Erwartungen entstehen Fehleinschätzungen, die zu Missverständnissen führen. Nicht selten entwickeln sich daraus Konflikte. Ich möchte mit meinen langjährigen Erfahrungen dazu beitragen, dass Menschen trotz kultureller Unterschiede, seien es Sprache, Religion, Verhalten oder Aussehen, einander verstehen, voneinander lernen und friedlich zusammenleben. Bereits beim Lesen dieses Buches können Sie Missverständnisse, Unklarheiten, Fehleinschätzungen und Konflikte einordnen und Ihr Handeln auf positive Lösungen ausrichten. Damit lösen Sie Ver-
Vorwort 14 www.WALHALLA.de wirrungen auf und können blinden Aktionismus und fremdenfeindliche Tendenzen einordnen. Effektiv verknüpfen Sie Ihr Wissen mit praxiserprobten Erfahrungen. Somit inspirieren Sie auch andere Menschen und geben Impulse für deren Handeln. Sie selbst brauchen sich nicht zu verbiegen. Sie erfahren, wie Sie Menschen aus anderen Ländern annehmen und mit ihnen umgehen können. Sie erkennen, dass Menschen anderer Herkunft nicht bedrohlich oder zu isolieren sind. Vielmehr nutzen Sie Ihre Chancen, mehr über andere Kulturen und Lebenseinstellungen zu erfahren. So löst sich das Unbekannte auf und interessante interkulturelle Begegnungen können stattfinden.
Was ist Kultur und was hat sie mit Ihnen zu tun? 60 www.WALHALLA.de 2 Abb. 3: Kulturdreieck Person Kulturdreieck Situation Kultur Diese nutzen Sie, um zu erfragen, ob eine persönliche, eine situative oder kulturelle Sicht vorherrscht. Nachfolgende Fragen helfen Ihnen dabei. 1. Person Sind persönliche Standpunkte vorhanden? 2. Situation Welchen Einfluss haben der Zeitpunkt, der Ort oder die Art der Begegnung? 3. Kultur Welche kulturellen Aspekte sind erkennbar? Gern können Sie die Fragen entsprechend ergänzen. Noch ein Hinweis: Wenn Sie einzelne Elemente aus Kulturen herausnehmen, gelangen Sie zu unrichtigen Urteilen. Weitere Faktoren wie Umstände, Zeit und Zusammenhänge helfen Ihnen, besser zu verstehen und zu reagieren.
2.7 Tool „Kulturdreieck“ 61 www.WALHALLA.de 2 Beispiel: Auf einer Reise begegnet uns eine junge Frau mit schwarzen Zähnen Person: Frage: Liegt es an der jungen Frau, dass sie schwarze Zähne hat? Antwort: Zunächst lässt sich vermuten, dass Zähneputzen eine persönliche Angelegenheit sowie eine Frage der Erziehung und Hygiene ist. Dunkle Zähne entstehen durch nachlässiges Zähneputzen und viel Zuckerkonsum. Schwarze Zähne empfinden wir als ekelig, sie sind krank und müssen entfernt werden. Es liegt an der Frau, denn schließlich könnte sie sich regelmäßig die Zähne putzen und einen Zahnarzt aufsuchen. Situation: Frage: Welchen Einfluss haben der Zeitpunkt, der Ort oder die Art der Begegnung? Antwort: Bezugnehmend auf unser Beispiel keinen, denn es fehlen dazu die entsprechenden Angaben. Kultur: Frage: Kann es sein, dass schwarze Zähne kulturbedingt sind? Antwort: Da gilt es zu recherchieren. Sie werden herausfinden, dass schwarze Zähne in Japan in der Oberschicht als Attribut der Geschlechtsreife und damit Volljährigkeit eines Mädchens galten, also als Schönheitsmerkmal, im Bürgertum hingegen verwiesen die schwarzen Zähne auf den gesellschaftlichen Status einer verlobten oder verheirateten Frau. Das Schwarzfärben der Zähne wurde mittlerweile verboten, jedoch praktizieren einige Urvölker in Südostasien es auch heute noch. Analyse: Hier dominiert die Kultur, denn in unserer Kultur herrschen andere Bezüge. Erst an zweiter Stelle wird es zu einer persönlichen Entscheidung und an dritter Stelle verbirgt der Moment der Begegnung die kulturellen Bezüge.
Was ist Kultur und was hat sie mit Ihnen zu tun? 62 www.WALHALLA.de 2 Hier eine Übung für Sie: Schätze nachfolgende Aussagen entsprechend dem Kulturdreieck ein! Geht es hier um die Person, die Situation oder die Kultur? ▪▪ Frauen mit schmalen Augen kommen aus China. ▪▪ Alle, die ausländisch aussehen, sind Einwandererinnen und Einwanderer. ▪▪ Unser Fest ist der Ramadan. ▪▪ Sie gehen in die Moschee. ▪▪ Zum Essen sitzen sie auf dem Boden. ▪▪ Alle, die kein Schweinefleisch essen, sind Muslimas und Muslime. ▪▪ Weihnachten verbringt man zu Hause. ▪▪ Frauen mit Kopftuch sind gläubig. ▪▪ Menschen mit einer dunklen Haut sind Afrikaner*innen. ▪▪ Karnevalsumzüge gibt es am Rosenmontag. Beachten Sie, dass Verhaltensweisen nicht unbedingt einen kulturellen Ursprung haben, auch wenn Menschen anderer Kulturen daran beteiligt sind. Wenn ein Mensch aus einer anderen Kultur beleidigt wird, so muss es nicht zwangsläufig einen kulturellen Hintergrund haben. Hier kann es sich um persönliche oder situative Aspekte handeln. Um Klarheit zu gewinnen, beurteilen Sie, welche Aussagen am stärksten, gering oder gar nicht zutreffen. Der Nutzen: Mit dieser simplen Unterteilung schätzen Sie ein, ob es sich tatsächlich um eine kulturelle Angelegenheit handelt. Sie erkennen, dass nicht in jedem Fall kulturelle Ursachen zugrunde liegen, sie können sowohl situativ als auch persönlicher Natur sein. Das Kulturdreieck kann Sie unterstützen, eine Fehleinschätzung zu vermeiden. Sie finden Ursachen für kulturelle Disharmonien heraus und können sich darauf einstellen.
2.8 Tool „Analysieren Sie Ihre kulturelle Familie“ 63 www.WALHALLA.de 2 2.8 Tool „Analysieren Sie Ihre kulturelle Familie“ Hier erhalten Sie eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Analyse Ihrer eigenen Familienstruktur. Im ersten Schritt sollen Sie sich an wichtige Bezugspersonen aus Ihrer Herkunftsfamilie erinnern, die Sie seit Ihrer Geburt prägen. Als Nächstes betrachten Sie Ihre aktuelle Lebenssituation und schauen sich danach an, welche Veränderungen stattgefunden haben. Schließlich denken Sie darüber nach, welche Aspekte dieser Veränderungen Sie übernommen haben und ob Sie damit zufrieden sind. Anleitung in drei Schritten 1. Schritt Zunächst betrachten Sie Ihre Herkunftsfamilie. Sie erinnern sich an Eltern, Geschwister, Großeltern, Tanten und Onkel sowie wichtige Bezugspersonen in Ihrem Leben. Sie kennen diese seit Ihrer Geburt. Es geht um Personen, die Sie entscheidend prägen. Es kann sein, dass sie nicht mehr leben. Erinnern Sie sich daran und nehmen Sie sich Zeit dafür. Hilfreich sind Fotos aus dieser Zeit. 2. Schritt Als Nächstes schauen Sie Ihre jetzigen familiären Strukturen an. Möglicherweise leben Sie allein, sind verheiratet, geschieden, haben Kinder oder nicht. Wie auch immer, es geht um Ihre derzeitige Lebenssituation. 3. Schritt Jetzt schauen Sie sich die Veränderungen an. Erkennen Sie, was Sie übernommen haben. Überlegen Sie, warum sich etwas geändert hat. Denken Sie darüber nach, ob Sie damit zufrieden sind. Fertigen Sie sich eine Tabelle mit vier Spalten an. Eine Spalte für Fragen, eine für Antworten, eine weitere für heute und in der letzten Spalte notieren Sie Veränderungen. Benutzen Sie die nachfolgenden Fragen: 1. Welche Personen gehörten zu Ihrer Herkunftsfamilie, also der Familie, in die Sie geboren wurden?
Was ist Kultur und was hat sie mit Ihnen zu tun? 64 www.WALHALLA.de 2 Wie ist das heute? Was hat sich verändert? 2. Welche festen Gewohnheiten (Essen, Schlafen, Pünktlichkeit) gab es in Ihrer Familie? Wie sind Ihre Gewohnheiten heute? Was hat sich verändert? 3. Wie haben Sie Ihre Interessen durchgesetzt? Wie gestaltet sich der Prozess heute? Was hat sich geändert? 4. Wer hatte das Sagen in Ihrer Familie? Wie sieht das gegenwärtig aus? Was hat sich bei Ihnen geändert? 5. Gab es in Ihrer Familie interne Regeln? Wenn ja, welche? Welche Regeln nutzen Sie heute? Was hat sich geändert? 6. Welche Traditionen an Feiertagen wurden gepflegt? Wie liefen diese ab? Pflegen Sie gegenwärtig diese Traditionen? Was hat sich geändert? Der Nutzen: Die Analyse der eigenen Familienstruktur hilft Ihnen, ein tieferes Verständnis für sich selbst zu entwickeln. Indem Sie sich bewusst mit Ihrer Herkunftsfamilie, Ihrer aktuellen Lebenssituation und Veränderungen in Ihrem Leben auseinandersetzen, wissen Sie, welche Faktoren Sie beeinflussen. Sie verstehen besser, wer Sie sind und welche Werte und Überzeugungen für Sie wichtig sind. Das stellt Ihren Ausgangspunkt für die Einschätzung von Familien aus anderen Kulturen dar. Somit erkennen Sie die Unterschiede und es ist Ihnen möglich, Ihre kulturellen Hintergründe darzulegen. 2.9 Zweite Praxisempfehlung Ich erinnere mich an unser gestriges Gespräch. Susanne Schneider, unsere Protagonistin aus dem Praxisbeispiel 2 (vgl. Kap. 2.2), hält es für banal, über ihre Eindrücke zu reden. Es sind jedoch genau die Details, die sie stören und aufregen. Um Einzelheiten zu sehen, ist es wichtig, die Situation wie durch eine Lupe zu betrachten. Sonst wird einiges übersehen oder ignoriert, so entsteht Frust.
2.9 Zweite Praxisempfehlung 65 www.WALHALLA.de 2 Frau Schneider irritiert das Verhalten des syrischen Mannes und die undeutliche Aussprache der Kundinnen und Kunden. Eine fehlende Distanz empfindet sie als unangenehm. Sie ist es nicht gewohnt, auf ihre Fragen keine Antworten zu erhalten. Wie vereinbart, sende ich ihr eine E-Mail mit meinen Empfehlungen. Liebe Frau Schneider, wie besprochen, schreibe ich Ihnen meine Empfehlungen auf. Damit haben Sie alles gleich schwarz auf weiß und können sich daran orientieren. Anklopfen Oft sagen wir: Dies ist normal, jenes ist unnormal. Doch wer legt hier die Norm fest? Wie Sie bereits mitbekommen haben, besitzt jeder Mensch eine grundlegende kulturelle Prägung. Sie können nicht von Ihren kulturellen Erfahrungen auf die des anderen schließen. In diesem Fall gilt es, das andere Normale anzuerkennen. Nun, ich kann Ihnen nicht sagen, wie das in den arabischen Ländern aussieht. Deshalb empfehle ich Ihnen: Fragen Sie direkt, wie es im Herkunftsland gehandhabt wird. Dabei lernen Sie. Erklären Sie ausführlich, wie es in Deutschland gehandhabt wird, um Verhalten zu verändern. Nähe und Distanz Es stimmt, Frau Schneider, kulturelle Nähe kann uns ganz schön durcheinanderbringen. Es geschieht automatisch. Kommt Ihnen jemand zu nah, fühlen Sie sich bedroht und gehen einen Schritt zurück. Deshalb wäre es wichtig zu wissen und damit zu rechnen, dass es unterschiedliche Distanzgefühle gibt. Begegnungen erfolgen in unterschiedlichen körperlichen Abständen. Die intime Distanz beträgt weniger als eine Armlänge. Nur Personen, die eine besondere Erlaubnis besitzen, dürfen in diese Zone eindringen. Sie sind enge Vertraute, wie Familienmitglieder oder Partner*innen. Fremde Personen, die diese Intimzone verletzen, empfinden wir als unangenehm. Dadurch fühlen wir uns unwohl. Die persönliche Distanz variiert so um einen Meter, das ist die normale Gesprächsdistanz. Annäherungen innerhalb dieser Grenzen sagen etwas über Bekanntheit oder Sympathiegrad zwischen den Beteiligten aus. Diese Zone ist für gute Bekannte, Verwandte, eventuell auch enge Kolleginnen und Kollegen reserviert. Öffentliche und soziale Distanz reicht von etwa zwei bis vier Metern, hier handelt es sich um Unterhaltungen mit Geschäftsleuten oder Angestellten. Sie haben bestimmt schon erlebt, dass der Chef hinter dem Schreibtisch sitzen bleibt, um den Abstand zu wahren. Das hat eine Schutzfunktion. Die genannten Distanzen sind in den europäischen Regionen üblich und zeigen den Umgang untereinander. Beispielsweise können Menschen in asiatischen und arabischen ebenso bei Grenzüberschreitungen Unbehagen empfinden5) 5) Vgl. Kap. 8.4/Kulturelle Grenzen.
Was ist Kultur und was hat sie mit Ihnen zu tun? 66 www.WALHALLA.de 2 Verhalten im Büro Ich kann Sie beruhigen, persönliche Bemerkungen über das Aussehen der Gesprächspartner*innen sind unwahrscheinlich und kommen kaum vor. Um Inhalte von Gesprächen und Briefen oder andere Informationen zu verstehen, benötigen Menschen mit geringen Sprachkenntnissen Unterstützung. Auch wenn sie die Sprache beherrschen, haben viele Ängste, selbst zu sprechen. Sie denken, dass sie sich unverständlich ausdrücken und dadurch Missverständnisse entstehen. Ebenso besorgt sie, dass sie die Aussagen falsch verstehen, weil sie einige Wörter nicht kennen. Das verunsichert. Daher suchen sie nach einer sprachkundigen Person, um dies zu vermeiden. Diese Personen sind häufig keine ausgebildeten Dolmetscher*innen, sondern meistens Bekannte, Verwandte und manchmal auch die eigenen Kinder. So passiert es, dass Zusätzliches erklärt oder über detaillierte Erfahrungen gesprochen wird. Sprachverständnis Die Sprache verbindet Kulturen. Jedoch können Sie nicht davon ausgehen, dass Kundinnen und Kunden das gleiche Sprachniveau besitzen, auch wenn sie einen Integrationskurs absolviert haben. Eine Sprache können auch wir nicht umfassend in einem halben Jahr lernen. Meist sind die Abschlüsse auf den allgemeinen Sprachgebrauch ausgerichtet. Ungünstig sind deshalb Fachbegriffe oder Abkürzungen. Sie werden im Unterricht nicht vermittelt und deshalb sollten Sie nicht davon ausgehen, dass diese Begriffe bekannt sind. Wir meinen oft, dass der andere es wissen muss, das stimmt aber nicht. Übertriebene Erwartungen können enttäuscht werden. Selbstverständlich weiß ich, dass Sie dafür mehr Zeit benötigen. Bitte wenden Sie sich an mich, wenn Sie Fragen haben. Viel Erfolg und liebe Grüße von Beate Tröster
9.4 Welche konkreten Anforderungen bestehen? 327 www.WALHALLA.de 9 Fazit: Eine agile Verwaltung nutzt eine gut koordinierte und integrative Strategie. Dazu gehören Gesetze, welche die Situation der Zugewanderten regulieren, aber auch die Rechte der Einheimischen wahren. All dies kann helfen, die Herausforderungen der Zuwanderung zu meistern und eine erfolgreiche Integration der Zugewanderten zu ermöglichen. 9.4 Welche konkreten Anforderungen bestehen? In den Verwaltungen erleben wir zunehmend interkulturelle Kundschaft, Mitarbeiter*innen aus anderen Herkunftsländern, interkulturelle Netzwerkpartner und Teams mit Menschen aus verschiedenen Kulturen. Deshalb ist es notwendig, dass die Verwaltungen sich interkulturell öffnen. Dazu eignen sich Leitlinien. In dieser schriftlichen Erklärung erläutert die Verwaltung ihre Grundprinzipien für den Umgang mit und die Einbeziehung von Menschen aus anderen Kulturen. Darin werden realistische Idealbilder formuliert, die als Richtlinie für die Mitarbeiter*innen dienen und dafür sorgen, dass interkulturelle Begegnungen wertschätzend möglich sind. Davon sind verschiedene Aspekte betroffen: 1. Respektvoller Umgang Die Beschäftigten zeigen Respekt gegenüber den kulturellen Unterschieden und Traditionen anderer Menschen. Sie vermeiden es, kulturelle Stereotype oder Vorurteile zu reproduzieren und behandeln andere so, wie Sie selbst behandelt werden möchten. 2. Offenheit und Toleranz Sie sind offen für neue Erfahrungen und andere Sichtweisen. Toleranz und Verständnis sind wichtige Faktoren für interkulturelle Begegnungen. 3. Sensibilität für nonverbale Kommunikation Die Art und Weise, wie Menschen nonverbal kommunizieren, wie zum Beispiel durch Körpersprache, Gesten oder Blickkontakt, kann in verschiedenen Kulturen unterschiedlich interpretiert werden. Sie achten daher auf nonverbale Signale und versuchen, sich darauf einzustellen. 4. Interesse zeigen
Wie den Herausforderungen der Zuwanderung begegnen? 328 www.WALHALLA.de 9 Sie fragen nach, um mehr über die Kultur, die Traditionen und die Lebensweise anderer Menschen zu erfahren. Auf diese Weise können Sie Ihr Verständnis erweitern und mögliche Missverständnisse vermeiden. 5. Kommunikationsstil anpassen Sie versuchen, sich auf den Kommunikationsstil anderer Menschen einzustellen, insbesondere wenn es um den Umgang mit Hierarchien und Höflichkeit bei direkter oder indirekter Kommunikation geht. 6. Empathie zeigen Sie zeigen Empathie und Verständnis für die Herausforderungen und Schwierigkeiten, die andere möglicherweise aufgrund von kulturellen Unterschieden oder Sprachbarrieren haben. 7. Kulturelle Sensibilität entwickeln Sie arbeiten daran, Ihre eigenen kulturellen Vorannahmen zu erkennen und zu reflektieren, um kulturelle Sensibilität und interkulturelle Kompetenz zu entwickeln. Durch die Beachtung dieser Aspekte wird ein erfolgreiches interkulturelles Klima geschaffen. Die Akzeptanz von Unsicherheiten und Misstrauen gehört nach Bolten (2018) zur interkulturellen Kompetenz.53) Das betrifft besonders Situationen, in denen es an Plausibilität, Routinehandeln oder Sinnhaftigkeit mangelt. Damit sind Erfahrungen mit unbestimmtem Ausgang gemeint. Diese Unsicherheiten und damit zusammenhängenden Erfahrungen sind von Person zu Person verschieden. Fazit: Interkulturell kompetente Personen zeichnen sich dadurch aus, dass sie flexibel und anpassungsfähig sind. Sie sind geistig fundamentiert, kommen schneller ins Handeln und sind bereit, innovativ zu denken und kreativ zu arbeiten. Es sind Beschäftigte, die die Fähigkeit besitzen, Mehrdeutigkeit und Unsicherheit zu erkennen und damit umzugehen. Die öffentliche Verwaltung sollte sich an den geänderten Bedürf53) Bolten J.: Fuzzy Sandberg – oder: (Wie) lassen sich Kulturen beschreiben? (Als englischsprachige Version: „The Dune Model“), AFS Intercultural Link, 2014, S. 4–8.
9.5 Der Artikel für die Fachzeitschrift 329 www.WALHALLA.de 9 nissen der Bürger*innen ausrichten. Dazu gehört, dass die Verwaltung Weiterbildungsprogramme für Mitarbeiter*innen und Zugewanderte anbietet, um deren interkulturelle Kompetenz zu fördern. 9.5 Der Artikel für die Fachzeitschrift Sechs Monate später: Ein handgeschriebener Briefumschlag liegt in meinem Briefkasten. Ich suche nach dem Absender und sehe, dass er von Dorothea, der Jugendamtsleiterin (vgl. Kap 1.2, Kap 7.2) kommt. Liebe Beate, Neulich sprach ich auf einer Konferenz, an der Jugendamtsleiter*innen aus ganz Deutschland teilnahmen. Ich meldete mich für einen Beitrag, weil ich denke, es ist wichtig, meine Geschichte zu erzählen, damit Menschen wissen, wie schwierig und langatmig kulturelle Prozesse sind. Nun wird diese Rede mit meinen Erfahrungen im Fachblatt veröffentlicht, um mehr Menschen zu erreichen. Vielen Dank für Ihre Begleitung, Unterstützung und Hilfe, ohne diese wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Ich habe es geschafft und bin seit zwei Monaten Amtsleiterin. Zudem durfte ich eine Mitarbeiterin einstellen, die sich insbesondere um interkulturelle Angelegenheiten kümmert. Vielen Dank für alles! Seien Sie herzlichst gegrüßt, Ihre Dorothea Anlage: Meine Rede Liebe Anwesende, Kolleginnen und Kollegen, zunächst vielen Dank an Sie, dass Sie so offen und tolerant sind, denn sonst wären Sie nicht hier. Das Thema Vielfalt scheint Ihnen wichtig zu sein und das ist es in der Tat. Vor einigen Monaten musste ich unvorhersehbare Hürden meistern. Ich steckte sowohl beruflich als auch persönlich in Schwierigkeiten. Ich wusste nicht, wie ich mit den eingestellten Fachkräften aus unterschiedlichen Ländern umgehen kann. Mir war alles zu viel. Ach, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Dorothea und arbeite seit zwei Jahren als amtierende Amtsleiterin im Jugendamt. Über Werbeaktionen, Messen und verschiedene andere Kanäle suchen wir Personal, das wir dringend brauchen. Nach erfolglosen Aktionen kam die Entscheidung: Wir müssen ausländische Fachkräfte nehmen. Gespannt lese ich Dorotheas Worte und erinnere mich an die vielen Telefonate. Sie schreibt weiter:
Wie den Herausforderungen der Zuwanderung begegnen? 330 www.WALHALLA.de 9 Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie verzweifelt ich damals war. Nachts quälten mich unliebsame und angstmachende Gedanken. Ideen, die mir dann kamen, waren am Morgen, bei Licht besehen, nutzlos und ich verwarf sie. Überstunden, Unklarheiten, Konflikte und Auseinandersetzungen brachten mich an den Rand meiner Kräfte. Meine Energie schwand. Wichtiges blieb auf der Strecke. Glauben Sie mir, als berufstätige Mutter mit einem Fulltime-Job kommt man schnell an seine Grenzen. Mit dem Einarbeiten von Deutschen kannte ich mich aus. Das beherrschte ich in- und auswendig, dafür hatte ich meinen BWL-Abschluss und nutzte meine Erfahrungen. Ich lernte jeden Tag dazu, und gepaart mit meinem Wissen aus der Uni gelang es mir, mit den Anforderungen klarzukommen, jedenfalls was die deutschen Mitarbeiter*innen anbelangt. Ich erinnere mich an mein Bewerbungsgespräch für das Jugendamt. „Sie haben eine sehr holprige Bewerbung abgeliefert“, bekam ich zu hören. „Sie wirken sehr schüchtern und zurückhaltend“, sagte damals der Personalleiter. Ich merkte selbst, dass ich immer an dem Nagel meines linken Daumens kaute, wenn ich aufgeregt oder unsicher war. Er sprach davon, dass ich von all den 13 Bewerberinnen und Bewerbern am überzeugendsten war. So bekam ich diese Stelle. Damals klopfte mein Herz vor Freude, das war der erste ordentliche Job in meinem Leben. Das war vor acht Jahren. Inzwischen ist viel passiert. Zu Hause zu bleiben und sich nur um die Kinder kümmern, war niemals eine Option für mich. Ich arbeite gern, schnell und erledige alles, was auf meinem Tisch liegt. Nach Feierabend verbringe ich viel Zeit mit den Kindern. Doch innerhalb der letzten acht Monate verdoppelte sich die Anzahl der Einstellungen ausländischer Beschäftigter. Sie sind aus neun Ländern, dazu gehören Syrien, Afghanistan, Russland, Polen, Türkei, Vietnam, der Irak, der Iran und Eritrea. Wie sollen wir miteinander reden, wie kommunizieren wir im Amt und wie können wir uns verständigen? Das beschäftigte mich. Schließlich arbeiten sie gemeinsam in Teams und das muss alles funktionieren. Sicher können Sie sich vorstellen, dass allein die Verständigung kompliziert war. Meinen Anspruch, dass die neuen Mitarbeiter*innen alles schnell verstehen, musste ich aufgeben. Ich brauchte mehr Zeit für Gespräche und Erklärungen. Wissen Sie, wenn ich deutsche Mitarbeitende anrief und ihn ins Büro bat, funktionierte das auf Anhieb. Dieselbe Mitteilung an die ausländischen Kolleginnen und Kollegen brauchte längere Erklärungen. Damals blieben meine normalen Arbeiten liegen und stapelten sich auf dem Schreibtisch oder im E-Mail-Postfach. Ständig kamen neue Herausforderungen und unbekannte Situationen hinzu. Doch mein Vorgesetzter sah dies nicht. Er stellte immer mehr Forderungen. Er selbst war oft unterwegs und wenn er da war, gab es öfters einen Rundumschlag. Tatsächlich war ich total verzweifelt. Ich wusste nicht mehr ein noch aus. Da nahm ich eine Auszeit. Wandern in der Natur entspannte mich und ich bekam wieder Luft zum Atmen. So lernte ich Frau Tröster kennen.
9.5 Der Artikel für die Fachzeitschrift 331 www.WALHALLA.de 9 Meine Gedanken schweiften für einen kurzen Moment ab. Innerlich fragte ich mich: Warum habe ich mich darauf eingelassen? Wiederholte Anrufe, Videos, Meetings und Mails unterbrachen meine Tage. Einmal klingelte das Handy bei einem entspannten Bad. Auf dem Display stand Dorotheas Nummer. Da hätte ich das Handy gern im Wasser ertränkt. Jedoch erinnerte ich mich an mein JA auf der Waldlichtung und so meldete ich mich mit freundlicher Stimme. Dorothea schaffte es, all die Hürden zu überwinden und die Herausforderungen zu bewältigen. In diesem Moment füllte sich mein Herz mit Freude und Dankbarkeit. Ich las weiter. Wisst ihr, wie oft ich Menschen falsch einschätzte, einfach weil ich den Nachrichten oder Beiträgen in Social Media vertraute? Außerdem verunsicherten mich die angeblichen Informationen, die mir meine Freunde ans Herz legten. Anfänglich wehrte ich den Kontakt zu Fremden ab. Doch ich lernte, dass ich mir durch meine eigene Sicht meine Meinung bilden muss. Ich begriff, dass mich meine Wahrnehmung täuschen kann und vorschnelle Urteile hinderlich sind. Durch pauschale Fehleinschätzungen andere falsch zu beurteilen bedeutet, Menschen in eine Ecke zu stellen, in die sie nicht gehören. Ich begriff, dass ich mir Zeit lassen muss, um zu entscheiden. Wie bei einer Perlenkette, nahm ich jede einzelne Perle in die Hand. So lernte ich, zuerst wahrzunehmen, um mir danach mein Urteil zu bilden. Das half mir bei all meinen Entscheidungen und es gelang mir, bewusst zu handeln. Seitdem gibt es Pausen zwischen Urteilen und Handeln, einen gedanklichen Freiraum. Damit vermeide ich spontane Reaktionen. Entscheidungen sind änderbar. Äußerungen, egal woher sie kommen, beeindrucken mich seitdem nicht mehr. Ich kann euch nicht sagen, wie mich das erleichterte. Endlich fühlte ich mich frei. Frei, weil ich seitdem überlegter und bewusster bin. Zugleich erhielt ich großartige und überwältigende Reaktionen von Menschen aus anderen Kulturen. Auch Missverständnisse deutete ich zunehmend besser. Ich begriff, wie ich Kulturfremde wirklich verstehen kann. Die Gespräche mit ihnen waren Dreh- und Angelpunkt. Zuerst nahm ich an, Gespräche sind alle gleich, aber das stimmt nicht. Ich stellte eindeutige kulturelle Unterschiede fest. Die größten Hindernisse waren sprachliche Schwierigkeiten. Ich übersah Kleinigkeiten, wie Körperhaltung oder Blicke. Nun begann ich, genau zu beobachten und so erkannte ich bereits am Gesichtsausdruck, wenn Unbehagen, Ärgerliches oder Freudiges dahintersteckte. Ich überarbeitete meine interkulturellen Gespräche, indem ich mich darauf gezielt vorbereitete, Lösungen vorher überlegte, die Verständigung durch Dolmetscher*innen oder andere Mittel sicherstellte, visualisierte und auswertete. Das war mein Schlüssel zum Geheimnis des gegenseitigen Verstehens. Falsche Urteile entstanden sehr schnell. Doch wie konnte ich das vermeiden? Das beschäftigte mich. Da kam ich auf zwei Dinge. Erstens: Indem ich mir vor dem Beurteilen die Lage genau anschaute. Zweitens ließ ich mein Gefühl
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